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Der Lieblingsfeind

(Beobachter)

Beda M. Stadler schiesst auf alles, was irgendwie nach Esoterik riecht: Homöopathen, Körnlipicker, Impfgegner, Biobauern. Er ist der umstrittenste Professor der Schweiz.

Der Lieblingsfeind. Bild: Christian Schnur

Von Christoph Schilling

Die Gäste in der Fernsehsendung «Club» haben offenbar beschlossen, sich nicht weh zu tun. Der angekündigte «Impfstreit» kommt daher wie ein Teegeplauder unter alten Damen. Bis Biologieprofessor Beda M. Stadler eingreift: «Sind Sie eigentlich wahnsinnig?» Die Haare trägt er freakig lang, die Augen blitzen auf wie die Bremslichter eines Offroaders. Jetzt knöpft er sich die Impfgegner vor, Taliban in seinen Augen, frontal, aggressiv, seine Zeigefinger parallel in die Luft bohrend – wie zwei Pistolen.

Kaum ein Kolumnist hierzulande generiert mehr Leserbriefe, erhält mehr Hasszuschriften. Aber auch Lob. «Stadler hat wieder einmal rücksichtslos recht», schreibt einer, während ein anderer meint: «Armer Tropf, der sich so leer wiederholt: Er sieht nur die Welt in einer Richtung vorbeifliegen und versteht so nicht die Bohne.»

Wie eine Kettensäge fräst er durch den Blätterwald, fällt Gegner um Gegner: Homöopathen, Vegetarier, Impfgegner, Biogemüseesser, Esoteriker und andere Gläubige. Die Redaktionen stellen ihm gerne Raum zur Verfügung. Kaum eine Sendung beim hiesigen Fernsehen, wo er nicht schon zu Gast gewesen wäre: «Aeschbacher», «10 vor 10», «Club», «Arena», «Puls», «Kassensturz», sogar Viktor Giacobbo hat ihn mit einer Einladung geadelt, selbst deutsche Sender holen den Schweizer Professor ins Studio. Stadler ist jemand mit der Witterung für Tabus, ein grosser Stilist und ein gnadenloser Polemiker, kurz: ein Spassguerillero.

Es macht ihm ganz einfach Spass

Als der gebürtige Walliser 1981 in den USA studierte, malte er in aller Öffentlichkeit einem Bild des neugewählten Präsidenten Reagan ein Hitlerschnäuzchen unter die Nase. Stadler wurde erwischt und musste antraben. Die Unileitung fand das nicht lustig. Stadler erzählt die Anekdote noch heute und kichert wie ein Kobold immerzu in sich hinein, weil er über die eigenen Pointen lachen muss.

Es habe ihm ganz einfach Spass gemacht; so wie es ihm heute Spass macht, ein Loblied auf den Offroader zu verfassen, am TV Impfgegner mit Holocaustleugnern zu vergleichen, seinen Spott zu giessen über Vegetarier («Wer Vegetarier ist, hat ein psychisches Problem») wie über Allergiker («Kaum einer, der sich nicht damit brüstet, gegen irgendetwas allergisch zu sein»).

Diese Auftritte brachten dem Professor die Resonanz, die ihm als Wissenschaftler versagt blieb. Als Immunologe gehört er eher in die Liga Fliegengewicht, international gilt er als unbeschriebenes Blatt. «Soft», sagt ein Kollege, «Hinterbänkler» ein anderer. Doch sogar seine hasserfüllten Kritiker attestieren ihm Witz, Intelligenz und eine süffige Schreibe. Nur eben, wenn Stadler suggeriere, Allergiker seien Simulanten, dann sei das natürlich «reine Agitation» und «abstrus». Abstrus, weil er ja selber auf dem Gebiet von Allergien forscht.

Stadler wäre lieber Bildhauer geworden. Oder Maler. Als Gymnasiast im Kollegium Spiritus Sanctus in Brig hatte er als fast Einziger eine feste Freundin (die er schon bald heiratete). Ehemalige Mitschüler erinnern sich: Er war immer braungebrannt, und sein Auftreten war von einer Leichtigkeit und Lässigkeit, die ihm noch heute anhaftet. Der sonst unauffällige Teenager war ein fantastischer Delfinschwimmer, das fiel auf, besonders den Frauen. Auch tauchen konnte der Vieltalentierte hervorragend, überlegte sich eine Karriere als archäologischer Taucher. Heute schwimmt und taucht der 58-Jährige nur noch selten, macht sich lustig über die Jogger. Eine Zeitlang hatte er so viel Übergewicht, dass er sich schämte, unter Berns Arkaden zu flanieren, aus Angst, sein Spiegelbild zu entdecken.

Zu feige für Kunst oder Sport

Warum ist er nicht Schwimmer geworden? Oder Künstler? «Ich war zu feige», sagt er. Er wählte den sicheren Pfad, studierte Biologie in Bern, Doktorat in Molekularbiologie, dann zwei Jahre USA, dann 30 Jahre an der Universität Bern, seit 1991 Professor für Immunologie.

Einmal noch bekam er das Angebot, Sandoz Wien zu leiten. Er lehnte ab, wollte Zeit für seine Frau und die zwei Kinder haben (die beide eine künstlerische Laufbahn eingeschlagen haben).

Hineingeboren wurde Beda M. Stadler in eine erzkatholische Familie mit fünf Kindern. Das erste Buch, das er besass, hatte den Titel «Ursli und die erste heilige Kommunion». Er erwähnts mit Abscheu. Der Vater war Ingenieur bei der Lonza, man lebte in Visp in einem Ghetto zugewanderter Familien, deren Väter im Solde der Chemiefabrik standen.

Die Frühmesse jeden Tag vor dem Besuch der Primarschule war obligatorisch. Im Kollegium, an dem 1968 ein gewisser Peter Bodenmann daran war, das Terrain aufzumischen, war Stadler ein unauffälliger Mitschüler, ging lieber ins Schwimmbad, als Revolution zu machen, war schon damals Einzelgänger, nicht Mitläufer.

Einerseits beklagt Stadler, der sich vor einigen Jahren als Atheist geoutet hat, diesen katholischen Humus, anderseits lobt er das Kollegium mit den vielen geistlichen Lehrern, das dialektisches Lauftraining für einige Oberwalliser Talente war. Heute sagt er: «Es braucht in der Schweiz weniger Mut, zu sagen, man sei schwul, als zu sagen, man sei ein Atheist.»

Wenn er auftritt, dann immer als Professor. Die Sendung «10 vor 10» kündigt ihn natürlich als «den Professor» an, der sich an einer Esoterikmesse aus der Hand lesen lässt. «I gspööre nüt.» Das ist natürlich eine super Gaudi, wenn das ein Professor sagt, hat aber mit Wissenschaft rein gar nichts zu tun. Pures Entertainment. Kommt dazu, dass ein Grossteil des Publikums denkt, er sei Arzt. Diesen Eindruck verscheucht der Professor zumindest nicht.

Man muss ihm aber auch zugutehalten: Regelmässig entlarvt er als einer der wenigen die hysterischen Züge unserer Gesellschaft: etwa als das Bundesamt für Gesundheit den Zimtstern-Alarm ausrief. Und er darauf hinwies, dass man jeden Tag 33 Kilo Sterne verdrücken müsste, damit es gefährlich würde.

Unterwegs für die Gentech-Lobby?

Ein Standardvorwurf lautet, Stadler sei ein Pharmavertreter. Er sitzt schliesslich im Stiftungsrat von Gen Suisse, der Gentechlobby, und im Beirat von Internutrition, der Lobby der Pharma-, Gentech- und Lebensmittelbranche. Warum tritt er nicht als deren Vertreter auf, sondern bevorzugt den neutral wirkenden Professorentitel? – Dann müsste er seine Texte von denen absegnen lassen, verteidigt er sich, und dann wäre er nicht mehr unabhängig. Erhält er Geld? Zwei-, dreimal habe er «Industrieberatung» für Monsanto gemacht. Der Lohn: Tageshonorar plus Reisespesen. «Für ein Tageshonorar lüge ich nicht. Da habe ich eine saubere Weste. Da bin ich stolz drauf.»

Das klingt glaubwürdig. Denn im Fernsehen sagt er Sätze wie: «Wenn jemand draufschreibt, etwas sei gesund, will er nur Geld verdienen.» Oder: Wenn behauptet werde, mit probiotischen Joghurts könne man das Immunsystem stärken, sei das «eine Dummheit». So redet kein Lobbyist der Lebensmittelindustrie. Stadler selber ist ein fabelhafter Koch, womit wir wieder bei den Künsten wären, er hat auch ein Kochbuch geschrieben. Von Design-Food hält er nichts, das verursache nur Übergewicht, er steht auf Grossmutters Küche mit ihren Blättern und Stängeln.

Beda M. Stadler ist eine «unguided missile», eine ungelenkte Rakete – wahrscheinlich kann man ihn gar nicht einbinden –, ein Spassguerillero, der sich nur einem verpflichtet fühlt: seinem Verstand.


Quelle: https://www.beobachter.ch/burger-verwaltung/beda-m-stadler-der-lieblingsfeind

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