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Eine bessere Zukunft für die Menschheit und die Welt?

Roman Weissen, 16. Oktober 2023

Beda M. Stadler (Bild), emeritierter Professor und ehemaliger Direktor des Instituts für klinische Immunologie an der Universität Bern, beschäftigt sich seit jeher in Büchern und Medienbeiträgen mit Fragestellungen, mit denen sich jedes Individuum mit der Rolle der «universellen und irdischen Götter» beschäftigt.

«Wir zwei für die Zukunft» ist der Titel des neuesten Buchs von Beda Stadler, das im CAMEO VERLAG erschienen ist. In der Walliser Berggemeinde Zenneggen, wo Beda M. Stadler im Einklang mit der Natur inzwischen wohnt, ergab sich die einmalige Gelegenheit, sich mit dem Weltbürger, streitbaren Professor, bekennenden Atheisten über sein aktuelles Buch zu unterhalten. Seine Publikation ist eine Auseinandersetzung mit unserem Zeitgeist und ein Vorschlag, wie der Homo sapiens zum Homo hominis werden könnte. Nach 1000 Jahren Christentum benötigte Europa die Aufklärung. Stadler findet, wir sind wieder an einem ähnlichen Zeitpunkt angelangt. Die Welt spielt verrückt und braucht wiederum eine Aufklärung.

Warum schreibt man in Ihrem Alter noch ein Buch?

Vor etwa 15 Jahren fragte ich meinen Fakultät-Kollegen und Neurologen, ob es einen guten Test für Alzheimer gäbe. Ich hatte nämlich Sorgen, da ich begann, Namen oder Dinge, die kürzlich passierten, zu vergessen. Er beruhigte mich ungemein, weil er sagte, dies sei normal, denn in meinem Alter werde die Brut wichtiger als die eigene Zukunft. Meine Enkel werden später hunderte Fotos von mir sehen. Sie sollen aber realisieren, dass ich nicht nur dick war, sondern auch wie ich getickt habe.

Also ist Ihr Buch nur für Ihre Enkel?

Ganz und gar nicht! Es gibt je länger je mehr Menschen, die es vorziehen, ein gottloses Leben zu führen, und für diese Säkularen wollte ich meine Lebensphilosophie darlegen. Jeder, der das Buch liest, soll allerdings mitschreiben können. Deshalb gibt es nach jedem Kapitel leere Seiten, um eigene Gedanken einzuführen. Ich ermuntere die Leser, ganze Sätze oder Passagen durchzustreichen, falls dies ihnen gegen den Strich geht. Ich hoffe, dadurch entsteht eine Art Familiengeschichte oder Chronik. In meinem Umfeld habe ich nämlich praktisch niemanden angetroffen, der noch wusste, was der eigene Grossvater, geschweige Urgrossvater dachte und wie er lebte. Meine Tochter kriegte also ein Buch, das sie später meiner Enkelin überreichen soll, so wie mein Schwiegersohn eines, der das Buch hoffentlich später meinem Enkel zu lesen gibt. Liebe Freunde erhielten ebenso ein Buch, da mir der Gedanke, „Spuren im Schnee“ zu hinterlassen, einfach gefiel.

Es ist also eine Abrechnung mit der Religion?

Überhaupt nicht! Ich plädiere allerdings für eine zweite Aufklärung. Die Aufklärung war wichtig, um die 1000 Jahre Christentum zu überwinden, und hat zu der Gesellschaft geführt, die wir heute bewahren wollen. Leider scheint die Welt derzeit aus den Fugen geraten zu sein. Noch vor wenigen Jahren konnte man sich nicht vorstellen, dass an Europas Grenzen wieder dermassen hässliche Kriege entstehen. Die Irrationalität scheint allgemein auf einem Siegeszug zu sein. So hat etwa die Pandemie zahlreiche Verschwörungstheorien geboren. Zudem wird der Aberglaube oft zu einer neuen Religion. Dagegen wollte ich schreiben.

Die Menschen müssen doch an etwas glauben.

Bereits Caesar hat gesagt: Die Menschen glauben, was sie glauben wollen. Wir Menschen brauchen aber vor allem Trost. Wer keinen Trost von Menschen erhält, braucht ein Haustier, und falls dies auch nicht reicht, muss er oder sie in eine Kirche eintreten. Der Grundtenor im Buch lautet deshalb: Glaubst du noch, oder denkst du schon? Ich will nicht missionieren, sondern bloss aufzeigen, dass es vielleicht auch bessere Alternativen zur Religion gibt.

Wie soll eine derartige Alternative entstehen?

Ich träume von einer Welt, die auf Konsens und Wissenschaft basiert. Dazu sollten wir uns endlich eingestehen, dass wir lange genug mit den gleichen Genen wie unsere nächsten Verwandten, die Affen, gelebt haben. Es gibt derzeit eine Reihe von Staatsoberhäuptern, welche ein negatives Beispiel für menschliches Verhalten sind. Nur weil Affen untereinander Krieg führen, sollten wir uns nicht verpflichtet fühlen, uns genauso unsinnig zu verhalten wie sie.

Sie wollen also unsere Gene verändern?

Nun mal langsam. Es gibt durchaus Beispiele, wie wir Menschen durch die Beeinflussung einzelner Gene zu gesellschaftlichen Erfolgen gelangten. Etwa die Emanzipation der Frau. Dank der Antibabypille, also dem Produkt eines einzelnen Gens, wurde diese Veränderung der Gesellschaft erst wirklich Realität. Die Hirnforschung macht dermassen Fortschritte, dass man sich vorstellen kann, dass menschliche Aggression einmal genau so beeinflusst werden könnte. In einer Gesellschaft, die auf Konsens beruht, ist denkbar, dass man auch in den Genpool eingreift. Unser Heiratsverhalten ist schliesslich seit Jahrhunderten ein Eingriff in unseren Genpool. Die Gentherapie ist längst Wirklichkeit. Wenn ein Eingriff wegen einer Krankheit akzeptiert wird, so wie heute, warum nicht bei menschlichem Versagen. Wir sind eben auf vielen Gebieten nicht die Krönung der Schöpfung.

Wie meinen Sie das?

Leider glauben immer noch viele Menschen, dass es eine Schöpfung gegeben hat. Mit diesem Märchen sollte man ein für allemal aufhören, insbesondere jetzt, wo jeder dank dem James-Webb-Teleskop die Ausmasse des Universums langsam erahnen kann und selbst der Urknall nicht mehr am Anfang steht. Die Evolution braucht nämlich keine interstellaren Herrscher oder Schöpfer. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir allein im Universum sind, wesentlich kleiner als die Wahrscheinlichkeit, dass es andere intelligente Wesen gibt. Sollten andere Wesen uns je besuchen, bleibt uns nur zu hoffen, dass sie intelligenter sind als wir und nicht wie ein kleiner Junge, der im Wald einen Ameisenhaufen sieht und mit einem Stock darin herumwühlt.

Wonach sollten die Menschen denn ihren moralischen Kompass stellen?

Um diese Frage zu beantworten, hat die Wissenschaft in den letzten Jahren gewaltige Fortschritte erzielt. Nicht nur unser Verhalten, sondern insbesondere unsere Moral ist ein evolutionäres Programm, niedergeschrieben in unseren Genen. Wir wissen also selber, was gut oder schlecht ist. Das Prinzip: «Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu! » kommt bei den meisten Menschen in allen Religionen und vor allem auch bei Menschen ohne Götter-Glaube vor. Das ist keine Beobachtung, sondern man konnte es mit sauberen, wissenschaftlichen Experimenten nachvollziehen.

Wird dadurch nicht die Wissenschaft zu einem Gott?

Überhaupt nicht! Die Wissenschaft macht nämlich Fehler und ist bereit, daraus zu lernen. Das ist ihre grosse Überlegenheit gegenüber Glaubenssystemen, die alle von sich behaupten, ohne Fehler die letzte Wahrheit zu sein. Die Wissenschaft muss allerdings auf Konsens beruhen und sollte von der Philosophie und der Kunst begleitet werden. Dasselbe gilt natürlich auch für die Philosophie. Wir brauchen die grundsätzlichen Fragen, aber die Antworten sollten wissenschaftlich überprüfbar sein.

Wer will denn in einer derartigen rationalen Welt leben?

Niemand, deshalb brauchen wir zusätzlich noch die Kunst. Sie steht für die Metaebene des menschlichen Gehirns, in der zum Beispiel auch Spiritualität zu finden ist. Allerdings keine Spiritualität so wie sie die Esoteriker oder die Gläubigen verstehen, sondern etwa die Ergriffenheit bei einem schönen Sonnenuntergang, das Gefühl bei guter Musik, die Freude an einem Haustier, einem Essen mit Freunden oder ein Buch, das uns begleitet. Im Vergleich zum Alter des Universums ist ein menschliches Leben nicht mal ein Augenzwinkern. Wir haben nur dieses eine Leben und das sollten wir geniessen, es sollte Spass machen. Niemand darf betrogen werden mit Behauptungen, es gäbe ein zweites Leben oder man würde wieder geboren. Das sind bloss Marketinginstrumente der Religionen, aber wir alle wissen, dass noch nie jemand zurügekommen ist.

Wo bleibt der Ernst des Lebens?

Wir sollten von der Idee loskommen, dass unser Leben ein Jammertal ist. Der Sinn des Lebens ist ganz einfach das Leben selbst. Unser Leben ist dermassen einzigartig, so dass wir es jeden Tag aufs Neue geniessen sollten. Richard Dawkins meinte richtigerweise dazu, wir sollten uns selber jeden Morgen vor dem Spiegel gratulieren, weil wir den Sechser im Lotto gewonnen haben. Die meisten Menschen werden nämlich gar nie geboren, weil die benötigte Eizelle und die passende Samenzelle zu dem einmaligen Zeitpunkt sich nicht getroffen haben. Es gibt kein grösseres Geschenk als das Leben.

Ich hoffe, dass jeder, der mein Buch liest, einen kleinen Beitrag leistet, damit wir Menschen einander ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, bevor unserem Planeten der Saft ausgeht und wir auf einen anderen Planeten ziehen müssen. Es wäre schön, wenn die Glückseligkeit, die wir doch alle anstreben, hier auf der Erde zu finden wäre.

Was halten Sie von der Rolle der «christlichen Kirchen»? Haben die Kirchen ihren Auftrag in der globalen Welt letztlich nicht erfüllt?

Juden, Moslems und Christen haben im Prinzip alle den gleichen Gott. Sie streiten sich aber um den wahren Glauben, was zu zahlreichen Kriegen geführt hat. Die Einführung des Monotheismus hat aber letztlich nur dazu gedient, dass die herrschende Klasse die Religion dazu benutzte, das Volk zu unterdrücken. Die sogenannten christlichen Werte findet man unabhängig von Religion bei allen Menschen. Sie sind in einem säkularen Humanismus viel besser angesiedelt und könnten dadurch auch weiter verbessert werden. Die positive Werte unserer Gesellschaft wurden alle ohne das Dazutun der Kirchen von Menschen geschaffen.

Welche Rolle erfüllen die globalen Kirchen also noch?

Viele Menschen bedienen sich noch bei den Ritualen der Kirche, wie etwa bei der Geburt, bei der Heirat oder bei Beerdigungen. Seit jeher erklärt die Kirche diese Rituale aber als Monopol, das sie sogar für ihre Mitglieder zum Obligatorium machen und dafür vom Bürger und Staat Zwangsabgaben einfordern. Die Art und Weise, wie Kirchen Frauen behandeln, zeigt vielleicht eindrücklich, wie zeitgemäss sie noch sind. Eine Organisation die behauptet, einen Gott zu vertreten, der allmächtig und allgütig ist, macht es uns schwierig zu verstehen, wie dieser gütige Gott Krieg, Tsunamis oder andere Naturkatastrophen, Krebs, genetische Krankheiten oder Hunger zulässt. Er scheint weder allmächtig noch gütig zu sein. Erschreckend ist bloss, dass viele Menschen, die aus der Kirche austreten, in neue Ersatzreligionen fliehen. Mir ist ein evolutionärer Humanismus lieber, der das Gute im Menschen sucht und menschenwürdige Rituale zur Verfügung stellt, die wir anscheinend brauchen.


Quelle: https://seniorweb.ch/2023/10/16/eine-bessere-zukunft-fuer-die-menschheit-und-die-welt/

Schlagwörter:

Ein Gedanke zu „Eine bessere Zukunft für die Menschheit und die Welt?“

  1. Ich schätze Bedas grosse Empathie für seine Mitmenschen und seinen kritischen, manchmal polemischen Geist. Legendär sind seine früheren Kolumnen in der NZZ am Sonntag, mit denen er zum Teil empörte Leserbriefe provoziert hat. Sie sind übrigens alle hier nachzulesen. Ich teile natürlich seine Aufforderung, mehr zu denken als zu glauben und auch ich bin ein Anhänger der wissenschaftlichen Methode. Dank ihr haben wir es schon weit gebracht. Betreffend Religion gehe ich noch einen Gott weiter: die gefährlichste aller Religionen ist der Glaube an die Autorität des Staates. Der Staat ist Gott, die Politiker sind die Propheten, das Parlament entspricht der Kirche, die Flagge ist ein Götze, die Gesetze sind die Gebote, Wahlen sind Gebete und der Zehnte sind die Steuern. Wir sollten uns vor jeder institutionalisierten Religion in Sicherheit bringen ohne dabei auf die eigene Spiritualität zu verzichten. Ich «glaube» daran, dass wir diesen Staats-Glauben auch noch überwinden und eine Gesellschaft ohne Herrschaft und Zwang hinbekommen. Mehr dazu auf meinem Blog https://daniel.annen.ch/about.

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