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«Leider hat die Irrationalität gewonnen»


(Bärnerbär – Berns Wochenzeitung, 27.09.2022)

Corona macht Beda Stadler keine Angst mehr – falls das je der Fall war. Viel eher trauert der emeritierte
Immunologieprofessor der verpassten Chance nach, die sich, so sagt er, durch das Virus ergeben hätte.

Beda Stadler, das Thema Corona ist in den letzten Monaten in den Hintergrund gerückt. Zu Recht?
Corona hat sich schon vor rund einem Jahr verabschiedet. Es ist jetzt ein Erkältungsvirus, ähnlich wie vor zwanzig Jahren, wenn ein Kinderarzt bei einem Kind eine besonders schlimme Erkältung diagnostizierte.
Auch damals handelte es sich bei rund einem Fünftel der Fälle um Corona, bloss um eine andere Variante. Covid-19 war nie ein neues Virus, nur ein saublöder Stamm aus China, der um die Welt ging. Wer übrigens die letzte grosse Welle verfolgte, stellte fest, dass es zwar zahlreiche Fälle gab, aber nie mehr so viele Tote wie zuvor.

Trotzdem landen wegen des Virus noch immer etliche Menschen im Spital.
Das stimmt. Man sollte allerdings ebenfalls in Betracht ziehen, wie viele Personen gleichzeitig weniger ins Spital mussten wegen Grippe oder anderen Viren. Und: Wurde bei der Unterscheidung «an oder mit Corona gestorben» wirklich sauber aufgeschlüsselt?

Sie sehen das alles einigermassen locker – doch was passiert nun in der kälteren Jahreszeit, wenn die Fallzahlen wieder ansteigen?
Das Virus wird weiter mutieren und bei uns bleiben. Es war ja schon vorher da. Bloss sagte damals niemand: Ich habe Corona, sondern: Ich bin erkältet.

Trotzdem: Tausende Kranke und Spitäler, die an den Anschlag kommen: Das bereitet Ihnen keine Sorgen?
Man sollte die Situation nüchterner angehen und nicht wegen jedem kleinen Hüstchen in den Notfall rennen. Die einseitige öffentliche Diskussion hat dazu geführt, dass manche glauben, man könne an solchen Symptomen sterben. Wahr ist: Für junge, gesunde Menschen ist Corona im Normalfall eine Erkältung und keine tödliche Bedrohung. Das war Corona von Anfang an einzig für vulnerable Leute.

Sie vergessen jene, die an Long Covid leiden.
Eine bedauerliche Erscheinung, absolut. Ein wesentlicher Teil der Fälle ist jedoch psychisch bedingt. Ich will das nicht ins Lächerliche ziehen: Ich mache schliesslich bei einer Firma mit, die ein Medikament entwickelt hat, das gegen Long Covid helfen könnte und das in Tests grosse Erfolge aufweist. Was hinter den Long-Covid-Symptomen steckt, ist noch ziemlich unklar. Möglicherweise handelt es sich um eine Auto-Immunreaktion.

Deutschland führt ab 1. Oktober die Maskenpflicht unter anderem in Arztpraxen wieder ein, in Fernzügen galt sie schon immer. Sie halten solche Massnahmen sicher für übertrieben.
Völlig übertrieben, ja. Besser wäre ein Blick auf die Zahlen, nämlich: Wie viele Tote gibt es pro Million Einwohner? Und hier steht die Schweiz besser da als Deutschland. Deutschland und Schweden wiederum liegen in dieser Statistik etwa gleichauf.

Sie spielen auf den relativ lockeren Umgang Schwedens mit Corona zu Beginn der Pandemie an.
Richtig. Die eigentliche Katastrophe ist hingegen, dass zig Leute das Gefühl haben, eine Maske biete den gleichen Schutz wie eine Impfung. Sogar Weltklasse-Tennisspieler glauben diesen Unsinn (lacht). Corona wäre eine echte Chance gewesen, die schlechte Impfmentalität in der Schweiz durchzudiskutieren. Doch leider hat die Irrationalität gewonnen.

Inwiefern?
Der Mechanismus, mRNA in den Körper zu spritzen, damit er selbst ein Medikament gegen eine Krankheit aufbaut, wird in Zukunft enorm wichtig sein, zum Beispiel für die Behandlung von Krebs.

Ab 10. Oktober ist die neue, angepasste Impfung gegen die Omikron-Variante erhältlich. Wer soll sich die vierte Dosis holen?
Omikron hat eine gute Fähigkeit, die Bevölkerung anzustecken, ohne sie vermehrt krank zu machen. Die vierte Impfung empfiehlt sich daher vor allem für vulnerable Personen. Alle anderen benötigen sie kaum, ausser jemand hat schlicht Angst vor Covid-19. Die Corona-Impfung wird in Zukunft hoffentlich genau so funktionieren wie jene gegen Grippe: nämlich, dass sich gefährdete Menschen einmal pro Jahr impfen. So mache ich das als 72-Jähriger übrigens auch.

In einem Zeitungsbericht war zu lesen, Corona sei nicht deshalb weniger gefährlich, weil es sich abgeschwächt hat, sondern weil das Virus auf eine Bevölkerung traf, die in weiten Teilen bereits immunisiert ist.
Hätte dieser «Experte» mit seinen Aussagen recht, würde er einen Nobelpreis erhalten. Denn das wäre das erste Mal, dass in der Natur so etwas passieren würde. So etwas kann eigentlich nur ein Journalist schreiben, der nach dem ersten Semester Biologie von der Uni flog (lacht). Im Ernst: Viren sind so einfach aufgebaut und fragil, dass sie, wenn etwa jemand hustet, oft schon gar nicht mehr ansteckend sind. Viren sind eigentlich Halb-Lebewesen – gewisse sind «richtig» zusammengebaut, andere einfach nur Junk.

Was empfehlen Sie also für die nächsten rund fünf Monate?
Erstens: Wer geimpft ist, soll normal leben. Abstand halten ist das Vernünftigste, das man tun kann. Händewaschen ist weniger entscheidend, denn: Bei Corona handelt es sich um eine Tröpfcheninfektion. Interessant ist übrigens, wie die Politik nun in der Energiekrise die gleichen Drohinstrumente anwendet wie bei der Pandemie.

Und zweitens?
Die Maske soll von jenen getragen werden, die sich krank fühlen. Um der Gesellschaft zu signalisieren: Kommt mir nicht zu nahe! Oder aber diese Person ist speziell gefährdet, weil sie beispielsweise an Krebs leidet und daher Schonung verdient. Das Signal muss in Zukunft sein: Wer Maske trägt, verdient besonderen Abstand.

Yves Schott

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