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«Wir haben heute eine grosse Anzahl neuer Angstsysteme!»

(Jungfrau Zeitung)

Interview mit Beda Stadler – Teil 1 | 9. September 2022

Teil 2

Beda M. Stadlers Bekanntheitsgrad hat in den letzten 30 Monaten zugelegt. Der emeritierte Professor und ehemalige Direktor des Instituts für Immunologie der Uni Bern war in der Zeit der Corona-Pandemie sehr präsent in den Medien. Das hat auch damit zu tun, dass der gebürtige Walliser eine unkonventionelle Sicht zur Pandemie vertritt und auch sonst gerne mit seinen Aussagen provoziert. Am Wochenende vom 17. und 18. September tritt der 72-Jährige beim zweitägigen Angstfrei Kongress im Berner Kursaal als Speaker auf. In diesem ersten Teil des umfassenden Gesprächs geht es um zunehmende Ängste, aber auch um eine Gesellschaft, die sich laut des Molekularbiologen von der Rationalität verabschiedet.

von Peter Wäch

Streitbarer Zeitgenosse und erfolgreicher Buchautor: Beda M. Stadler

Der Vertrag für sein neues Buch «Glücklich ungläubig», welches 2022 beim Berner Cameo Verlag erschienen ist, war bereits unterzeichnet, doch bevor Beda Martin Stadler mit dem Schreiben anfangen wollte, unterzog er sich einem Routineeingriff. Der eloquente und mit reichlich Witz gesegnete Walliser musste sich ein Aneurysma im Kopf entfernen lassen; das ist eine Erweiterung in der Gefässwand, die aufplatzen und schweren Schaden hinterlassen kann. Die Operation verlief gut, doch kurz danach erlitt Stadler mehre Hirnschläge, was ganz selten vorkommen kann. Ausserdem steckte er sich noch mit dem Corona-Virus an. Seine Familie und Freunde mussten damit rechnen, dass er nie wieder derselbe sein würde. Doch Beda M. Stadler ist eine Kämpfernatur, und er boxte sich mit aller Kraft ins Leben zurück. Noch nicht 100 Prozent genesen, schrieb er sein erstes Buch fertig. Heute ist der Genussmensch zungenfertiger denn je und arbeitet bereits an einem neuen Werk mit dem Titel «Aufklärung 2.0».

Über Beda M. Stadler

Beda Martin Stadler

Beda Martin Stadler wurde am 21. Juni 1950 in Visp geboren. Er ist ein Schweizer Molekularbiologe sowie emeritierter Professor und ehemaliger Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern. Der bekennende Atheist Stadler stammt aus einer katholischen Familie mit fünf Kindern. Sein Vater arbeitete als Ingenieur bei dem Chemie- und Pharmaunternehmen Lonza. Stadler besuchte das Kollegium Spiritus Sanctus in Brig. Er studierte Biologie in Bern und wurde in Molekularbiologie promoviert. Zwei Jahre verbrachte er in den Vereinigten Staaten. Nach der Rückkehr in die Schweiz arbeitete er an der Universität Bern und wurde 1991 Professor für Immunologie. Stadler betrieb Grundlagenforschung im Gebiet der Allergologie und Autoimmunität und angewandte Forschung zur Herstellung von rekombinanten humanen oder künstlichen Antikörpern und Impfstoffen für die Therapie. In der Öffentlichkeit bekannt wurde er als Diskussionsteilnehmer und insbesondere mit seinen bissigen Kolumnen, in denen er meist zu medizinischen sowie gesundheits- und gesellschaftspolitischen Themen – etwa Alternativmedizin (kontra), Gentechnik (pro), Impfung (kontra Kritik), Corona (kontra Maskenpflicht), Klimawandel (gegen behauptete Hysterie) – Stellung bezieht. Seine provokativen Thesen, in der Titelformulierung oft ironisch zugespitzt – Legalisiert das Doping, Konsumenten wollen Genfood oder Frauen sind nicht lustig – erregen Zu- und Widerspruch der Leserschaft. Ein Autor des Beobachters nannte ihn 2009 den «umstrittensten Professor der Schweiz». 2021 sagte er dazu: «Wichtig ist, dass wir auf Glaubenssysteme verzichten und der Wissenschaft mehr vertrauen. Die Wissenschaft ist im Gegensatz zum Glauben bereit, aus Fehlern zu lernen.» Von 2005 bis 2008 war er Kolumnist der NZZ am Sonntag und schrieb unter anderem auch für die Berner Zeitung. Neben seinen wissenschaftlichen Publikationen und Zeitungskolumnen veröffentlichte Stadler 2001 ein GVO-Kochbuch und 2022 sein autobiografisches Werk «Glücklich ungläubig». Er ist unter anderem Mitglied des Beirates der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung. Stadler ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Herbst 2020 lag er nach einer Operation wegen eines Aneurysmas aufgrund von Komplikationen wochenlang im künstlichen Koma und überlebte darüber hinaus eine im Spital zugezogene Corona-Infektion.

Der emeritierte Professor Beda M. Stadler legt sich mitunter auch gerne mit seiner eigenen Zunft an.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie angstvoll war unsere Gesellschaft in den letzten 30 Monaten, also seit Beginn der Corona-Pandemie?

Beda M. Stadler: Auf einer 11!

Dann sind Sie ja gerade richtig beim Angstfrei Kongress in Bern, wo Sie unter zehn Top-Referenten auch als Speaker auftreten. Wie ist Ihr Vortrag aufgebaut?

Ich fange mit meinen eigenen Ängsten an. Ich habe sie nämlich ein Leben lang abgebaut, indem ich mich über sie lustig gemacht habe (lacht).

Früher gehörte das Schüren von Ängsten zur Hauptdomäne der Kirche. Schon damals wurde die Urangst vor dem eigenen Tod leidenschaftlich bedient. Was ist heute anders?

Wir haben heute eine grosse Anzahl neuer Angstsysteme, die die Religionen zusehends ersetzen. Dazu gehören gewisse «Naturreligionen» genauso wie Verschwörungstheorien auf beiden Seiten des Spektrums. Dabei war die Gesellschaft noch nie so sicher in diesen Tagen und trotzdem sind die Menschen so ängstlich wie nie zuvor.

Das Verrückteste ist aber, dass Menschen Angst haben, eines Tages krank zu sterben.

Beda M. Stadler emeritierter Professor und Buchutor

Geht es uns einfach zu gut, wie oft behauptet?

Die grossen existenziellen Ängste sind zumindest in unseren Breitengraden Geschichte. Meine Generation hatte noch Angst vor der Hölle oder der Atombombe. Die Leute von heute haben aber mehr Angst davor, auf eine Weise unbedeutend oder optisch nicht ansprechend zu sein. Das Verrückteste ist aber, dass Menschen Angst haben, eines Tages krank zu sterben. Doch mit der Ausnahme eines Unfalls oder eines Mordes stirbt niemand gesund.

Wann fängt das genau an mit diesen neuen Ängsten?

Im Kindergarten, wo die Kinder bereits einen Helm tragen müssen zum Schutz beim Spielen. So wird der eigene Körper zum Tempel gemacht, indem man uns eintrichtert, auf immer und ewig unversehrt zu bleiben. Nun ist mit der Wokeness auch noch die eigene Meinung in Gefahr, denn die könnte schädlich für uns und andere sein. Es geht nicht mehr um Rationalität, vielmehr werden alternative Fakten zur Realität.

(Aus Sicht von Beda M. Stadler war die Covid-19-Pandemie nicht die maximale Bedrohung wie vor gut 100 Jahren die Spanische Grippe mit bis zu 50 Millionen Toten weltweit.Foto: Keystone, Ennio Leanza)

Gehört die Covid-19-Pandemie eher zu den alternativen Fakten oder zur bitteren Realität?

Leider hat man das Corona-Virus zur weltumspannenden maximalen Bedrohung erklärt, was es nicht ist. Es handelt sich hier vielmehr um eine böse Erkältung oder Grippe, die vor allem vulnerable Menschen bedroht. Die Situation war und ist nicht annährend so schlimm wie seinerzeit mit der Spanischen Grippe. Früher hatten wir echte lebensbedrohende Ängste, die viele Leute betrafen, denken Sie nur an die Pest oder die Pocken. Bei Letzteren sind 30 Prozent der Menschheit weggestorben. Doch bereits die Vogel- und Schweinegrippe im letzten Jahrhundert waren ganz normale Grippen.

Leider hat man das Corona-Virus zur weltumspannenden maximalen Bedrohung gemacht, was es nicht ist
Beda M. Stadler emeritierter Professor und Buchautor

Inwiefern kann permanente Angst vor einer Krankheit psychische oder gar physische Schäden auslösen, wie es unter anderem der Arzt und Psychologe Dr. Christian Schubert in seinen Büchern schreibt?

Die Forschung ist hier umstritten. Wahrscheinlich ist es so, dass zu viel und vor allem ständige Angst das Immunsystem negativ beeinflussen. Es ist sogar erwiesen, dass viele Hormone wie Adrenalin oder Noradrenalin, die in den Nebennieren produziert werden, Einfluss auf unsere Entzündungshemmer haben. Ständiger negativer Stress macht krank, bei positivem ist es gerade umgekehrt. Darum haben wahrscheinlich viele Manager einen Herzinfarkt, kaum sind sie an einem Strand in den Ferien.

Warum sind wir denn plötzlich alle so überängstlich?

Es liegt vor allem an unserem dichten Kommunikationsnetz, wo jedes Problem und jeder Konflikt in Windeseile breit ausgewalzt wird. Wir leben im Gefühl, dass überall auf der Welt ständig Krieg herrscht. Dabei haben wir viel weniger Kriege. Wir können einen Dreissigjährigen Krieg gar nicht mehr nachvollziehen, der zu Armut, Tod und Verzweiflung führte. Heute rennen wir wegen einem «Bibeli» in den Notfall, weil wir denken, es könne Krebs sein. Früher wussten die Menschen viel über Religion, heute wissen sie viel über die Gefahren neuer Krankheiten, und jeder denkt, man könne sich zu 100 Prozent schützen davor.

Doch der Krieg in der Ukraine ist real und findet mitten in Europa statt.

Viele «lernten» die Ukraine erst durch diesen Krieg kennen. Ich gehöre auch zu jenen. Ich wusste erst, wie es dort aussieht, als ich eine TV-Reportage über das Land gesehen habe. Die Bergwelt und die Vegetation erinnern mich zum Beispiel stark ans Berner Oberland. Der Krieg ist schlimm, aber unsere Aufregung bringt auch eine gewisse Hybris an den Tag.

Angst bedeutet immer, dass das Prophezeite auf einen Schlag einen höheren Stellenwert erhält als die Wahrheit
Beda M. Stadler emeritierter Professor und Buchautor

Viele Menschen haben ihre Angst immer noch nicht unter Kontrolle und laufen trotz niedrigsten Inzidenzen und hohen Temperaturen mit einer FFP-Maske durch die Gegend. Ist in unserem Verständnis für Leben, Sterben und der Auseinandersetzung mit Krankheit etwas auf die schiefe Bahn geraten?

So ist es. Angst bedeutet immer, dass das Prophezeite auf einen Schlag einen höheren Stellenwert erhält als die Wahrheit. Und diese lässt sich nun einmal nur mit genügend Vernunft eruieren.

Nichtsdestotrotz warnen bereits die immer gleichen Experten wie Professorin Isabella Eckerle und Biostatistikerin Tanja Stadler vor dem Herbst, ganz zu schweigen von den Unkenrufen eines Karl Lauterbach aus Deutschland. Können Sie das als Fachmann auf dem Gebiet der Molekularbiologie und der Immunologie noch nachvollziehen?

Nein, es ist schlichtweg daneben. Hier ist etwas komplett falsch gelaufen in der Kommunikation. So glaubt heute ein jeder, dass eine Maske gleich gut schützt wie eine Impfung. Doch es ist zu spät, wir haben das Feld der Rationalität längst verlassen, und man kann gegen die Angst kaum mehr angehen. Es ist wie mit dem Kind, dem man einredet, es liege ein böser Mann unter dem Bett, es wird diese Mär für sehr lange Zeit glauben. Das Gleiche sehen wir jetzt bei Corona oder der bei Diskussion um den Ukrainekrieg, der sehr einseitig geführt wird.

Welche Rolle spielen hier die Medien?

Sie sind genau gleich blöd wie viele Leute. Oder gleich intelligent (lacht). Die Medien haben ganz sicher keine erzieherische Aufgabe. Die Journalisten an ihren Schreibtischen sind Leute wie Sie und ich.

Die Medien haben ganz sicher keine erzieherische Aufgabe
Beda M. Stadler emeritierter Professor und Buchautor

Sollten wir die ganzen Schreckensmeldungen vom Mainstream auch mit mehr Humor nehmen?

Das Problem ist, dass unser Gehirn lieber in Mustern denkt als rational, denn das geht viel schneller. Es ist wie bei unseren Vorfahren, die im hohen Gras etwas rascheln hörten und dann lieber gleich wegsprangen als die Bedeutung des Geräuschs richtig zu verorten. Rationalität braucht halt viel mehr Energie und Zeit, und unser Hirn hat mehr Tempo, wenn wir Entscheide blitzartig treffen. Das geschieht, indem man ein Muster abruft. Das funktioniert bei Affen und vor allem bei den Schimpansen, mit denen wir 99 Prozent unseres Erbguts teilen, genau gleich. Ein Affe, der lange im Zoo gelebt hat, erkennt nicht, ob wir ihm eine echte Schlange oder eine aus Gummi ins Gehege geworfen haben. Nach seinem genetischen Muster bedeutet das Teil Gefahr, also rennt das Tier laut schreiend davon. Diese Muster haben sich während unserer Evolution im Organismus nachhaltig eingenistet.

Wie die Angst vor Spinnen?

Ein gutes Beispiel. In England fürchten sich 80 Prozent der Menschen vor Spinnen, obschon es dort keine einzige giftige Gattung gibt. Das sind typische alte Muster. Und nun lernen wir neue Muster hinzu. Bei der sichtbaren Radarfalle gehen wir automatisch vom Gas, bei anderen Symbolen auf der Strasse reagieren wir ähnlich. Es sind eigentliche Angst- und Warntafeln, Drohgebärden überall. Bei Corona ist es nun so, dass die permanente Angst dem Staat zu neuer Macht verhilft, und er scheint diese gerade auszunutzen. So kann die Politik zum Beispiel die verfehlte Energiepolitik ausmerzen. Dabei weiss jeder einigermassen reflektierte Zeitgenosse, dass die Erneuerbaren allein nicht unseren Strombedarf abdecken können.

Sie waren ja zur Amtszeit von Doris Leuthard Vizepräsident der Kommission für Technologie und Innovation KTI. Was ist in Ihnen vorgegangen, als die damalige CVP-Bundesrätin, auch Atom-Doris genannt, nach Fukushima plötzlich den Ausstieg aus der Kernkraft propagierte?

Ich habe wie die damaligen Nuklearspezialisten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und stellte wie jene die drängende Frage: Alles schön und gut, aber werden diese Erneuerbaren auch für alle Menschen reichen? Dabei schafft wenig Uran viel mehr Energie, als wir mit Ressourcen wie Holz, Öl oder Gas erreichen können. Wir brauchen aber auch hier eine wissensbasierte Gesellschaft und nicht eine, die rein auf den Glauben setzt. Die Forschung an der Kernenergie muss wieder möglich sein.

Teil 2


Quelle: https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/202967/

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