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«Schwierig, meine Häme zu zügeln»


(Weltwoche)

Forscher Stadler: «Menschen überzeugt man nicht mit Zwang»

Der Immunologe Beda Stadler pendelte zwischen Leben und Tod. Jetzt ist er wieder da.Hier spricht er über alles, was man über Impfungen wissen muss.

24.03.2021
Alex Baur

Beda Stadler, 70, wirkte bis zu seiner Pensionierung als Professor und Direktor des Instituts für Immunologie an der Universität Bern. Heute lebt der gebürtige Walliser zusammen mit seiner Frau Heidi in Zeneggen oberhalb von Visp. Als regelmässiger Autor der Weltwoche profilierte sich Stadler als scharfzüngiger Kritiker und Beobachter des Gesundheitssystems; nach dem Ausbruch von Covid-19 warnte er vor unnötiger Panikmache. Im letzten Herbst musste sich Stadler wegen eines Aneurysmas im Hinterkopf einer Operation unterziehen; wegen schwerer Komplikationen (fünf Hirnschläge, drei epileptische Anfälle) lag er wochenlang im künstlichen Koma; und als ob das nicht genug wäre, zog er sich im Spital auch noch eine Covid-19-Infektion mit einer Lungenentzündung zu. Dass der passionierte Dampfer und Ex-Raucher Beda Stadler ohne schwere bleibende Schäden überlebte, grenzt an ein medizinisches Wunder – wobei der bekennende Atheist Stadler nicht an Wunder glaubt.

Weltwoche: Beda Stadler, Sie haben Corona ja schon hinter sich, sind also immun. Würden Sie sich trotzdem impfen lassen – und wenn ja, mit welchem Stoff?

Beda Stadler: Ich werde mich impfen lassen, sobald ich weiss, dass ich damit niemandem, der den Impfstoff dringend braucht, diesen wegnehme. Ich hoffe, dass bis dann auch diagnostische Verfahren vorhanden sind, die präzise aussagen können, wie gut man bereits geschützt ist. Welcher Impfstoff der beste ist, wird sich erst noch zeigen müssen. Doch bereits heute gilt: lieber ein weniger wirksamer Impfstoff als keiner.

Weltwoche: Umfragen zeigen, dass ein Viertel der Ärzte in der Schweiz sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen wollen. Medizinisches Personal gilt allgemein als nicht sehr impffreudig. Wie erklärt sich das?

Stadler: Darüber wundere ich mich seit Jahren. Vielleicht führt aber der ständige Kontakt mit verschiedenen Viren dazu, dass das Pflegepersonal sich ständig leicht ansteckt, somit mit nur wenig Symptomen die jeweiligen Krankheiten durchmacht und dadurch quasi auf natürliche Weise geimpft wird. Dies ist meinerseits ein armseliger Erklärungsversuch. Er sollte aber nicht davon ablenken, dass die Impfmüdigkeit des Pflegepersonals ein Skandal ist.

Weltwoche: Bislang gab es nur ein Virus, das mit der Impfung praktisch zum Verschwinden gebracht werden konnte, das Pockenvirus. Dazu brauchte es fast 200 Jahre. Warum ist das so? Warum soll das bei Sars-CoV-2 anders sein?

Stadler: Das hängt mit der Art und Weise zusammen, wie uns ein bestimmtes Virus krank macht – und mit der Impfstrategie, mit der man es am besten bekämpft. Die Pocken konnte man ausrotten, weil man herausgefunden hat, dass man kreisförmig um einen Pockenherd herum impfen kann und somit eine weitere Verbreitung verhindert. Leider existiert das Virus aber noch in zwei Tiefkühltruhen, eine steht in Amerika und eine in Russland. Es braucht also nur einen Idioten, der das Virus auftaut und neu verteilt. Im Übrigen dauerte es 200 Jahre, weil die erste Impfung gegen die Pocken zugleich der Anfang einer neuen Wissenschaft war, der Immunologie. Seither haben wir sehr viel dazugelernt. Es gab aber auch schon immer Impfgegner. Mit etwas mehr Impfdisziplin hätte man zum Beispiel auch die Kinderlähmung ausrotten können. Ältere Menschen in der Schweiz können oft die Folgen einer Krankheit erkennen, sie brauchen dafür kein Medizinstudium; junge Medizinstudenten dagegen erkennen die typischen Schäden nicht, weil wir die Krankheit bei uns fast ausgerottet haben. Die Wissenschaft weiss in der Zwischenzeit über Coronaviren so viel, dass es wirklich nur eine Frage der Zeit ist, bis ein idealer Impfstoff definiert ist und für alle zugänglich in Gebrauch sein wird

Weltwoche: Grippeimpfungen gibt es seit vielen Jahren, aber sie geben nur einen teilweisen Schutz. Warum sollte eine Corona-Impfungen effizienter sein?

Stadler: Viren sind sehr unterschiedlich. Sie sind keine selbständigen Lebewesen, sie sind sozusagen nur Halblebewesen. Sie brauchen einen Wirt und haben zu wenig Kontrolle über die eigenen Gene, somit mutieren sie ständig. Das Masernvirus ist etwa fünfzehnmal gefährlicher als ein Coronavirus; doch bei einem Patienten, der die Masern hat und Viren ausscheidet, sind nur etwa fünf Prozent dieser Viren wirklich eine Bedrohung für andere Menschen. Der Rest ist durch Mutationen bereits unschädlich geworden. Hat man also einen Impfstoff, der die Virulenz eines Virus neutralisieren kann, wird dieser Impfstoff nicht das Coronavirus an sich ausrotten, aber dessen Gefährlichkeit. Im Moment ist ja auch nicht klar, ob die vielen neuen Mutationen des Coronavirus bloss «ansteckender», aber eben nicht virulenter sind. Sollte dem so sein, bedeuten die beobachteten Virusmutationen, dass Sars-CoV-2 wieder zurück auf dem Weg zu einem normalen Erkältungsvirus ist. Bei Grippeviren besteht allerdings die Möglichkeit, dass sie nicht bloss mutieren, sondern ganze Genkassetten untereinander austauschen, womit tatsächlich etwas Neues entsteht, das auch viel gefährlicher sein kann. Das können wir nicht ändern, damit müssen wir leben.

Weltwoche: Bei der Grippeimpfung sagte man ja, dass sich vor allem die Gesunden impfen lassen sollten, um so eine Herdenimmunität zu erreichen, welche die Gefährdeten schützt. Denn bei einem geschwächten Immunsystem schützt auch eine Grippeimpfung nur bedingt. Wie ist das bei den Corona-Impfungen?

Stadler: Ich würde es anders formulieren. Eine Herdenimmunität muss sich immer selber ergeben, aber Impfen ist dabei sehr hilfreich. Impfen ist ein Akt der Solidarität. Jeder, der mit Menschen zusammenarbeitet, die unfreiwillig in seine Nähe kommen müssen, sollte sich impfen lassen. Dazu gehören zum Beispiel das Pflegepersonal, Gefängniswärter, Polizisten, Lehrer. Wenn der Corona-Impfstoff Risikopersonen tatsächlich adäquat schützen kann – was sich erst noch erweisen muss –, ist es natürlich sinnvoll, dass man diese priorisiert, bevor man die Herdenimmunität der ganzen Bevölkerung anstrebt.

Weltwoche: Gegen Covid-19 wurden viele Impfstoffe entwickelt, einige wurden bereits zugelassen. Im Wesentlichen sind das die mRNA-Impfungen (von Pfizer/Biontech oder Moderna) und die Vektorenimpfstoffe (von Astra Zeneca, Johnson & Johnson oder Sputnik V). Können Sie uns kurz erklären, was diese Stoffe von konventionellen Impfstoffen unterscheidet? Was sind die Vor- und Nachteile?

Stadler: Impfstoffe sind fast immer bestimmte Eiweisse von pathogenen Keimen. Früher hat man abgetötete oder abgeschwächte Viren oder Bakterien dazu benutzt. Dank den Möglichkeiten der Gentechnologie verabreicht man heute nur noch jene Eiweisse, von denen man weiss, dass das Virus sie benutzt, um krank zu machen. Das sind Eiweisse, die ihm helfen, in die Zellen einzudringen, oder solche, die für die krankmachende Wirkung verantwortlich sind. Diese Eiweisse werden heute in Bioreaktoren künstlich hergestellt und gereinigt, damit man sie direkt spritzen kann. Seit einigen Jahren ist klar: Es ist vernünftiger, statt des ganzen Virus nur den Bauplan für das Eiweiss zu verabreichen. Die Vektorimpfstoffe sind eigentlich ein Taxi, also gut bekannte und harmlose Viren, denen man den Bauplan einbaut und damit alles Nötige zur Verfügung stellt, um unseren eigenen Zellen diesen Plan zu übergeben, welche dann das virale Eiweiss, also den eigentlichen Impfstoff, dem Immunsystem präsentieren. Bei den mRNA-Impfstoffen verzichtet man auf das Taxi und spritzt direkt den Eiweissplan, der von den Zellen aufgenommen wird. Solche Impfstoffe sind die Zukunft, weil sie schneller, billiger und exakter sind als alles Herkömmliche.

Weltwoche: Man hat kaum praktische Erfahrungen mit diesen Technologien. Skeptiker sagen, normalerweise brauchten solche Entwicklungen zehn Jahre; man habe keine Ahnung, wie sich diese überstürzt eingeführten Impfungen langfristig auf unser Immunsystem auswirkten. Die Massenimpfungen seien daher ein verantwortungsloser Grossversuch am Menschen, es drohten unabsehbare irreparable Schäden. Was sagen Sie zu diesen Bedenken?

Stadler: Es ist sicher wahr, dass es besser wäre, wenn man mehr Zeit hätte, um einen neuen Impfstoff anzuwenden. Was aber auch wahr ist: Noch nie war ein Impfstoff gefährlicher als die zu verhindernde Krankheit. Die Warner in unserer Gesellschaft haben bislang noch jeden medizinischen und technischen Fortschritt verhindern wollen. Unser Immunsystem ist dazu da, alles, was fremd ist, zu erkennen. Wer das erste Mal eine Banane isst, wird mit hundertmal mehr fremden Eiweissen konfrontiert, als wenn er sich impfen lässt. Sicher bleibt dabei, dass Impfungen Hunderten von Millionen Menschen das Leben gerettet haben.

Weltwoche: Nun gibt es ja grosse Bedenken bezüglich der Gentechnologie, in der Schweiz sogar ein Moratorium. Jahrelang sagte man den Menschen, dass etwa der Genuss von Gentech-Mais gefährlich sein könnte – und jetzt soll man sich gentechnisch veränderte Viren einspritzen lassen, welche RNA-Informationen direkt in unsere Zellen einbauen. Eine ziemlich spektakuläre Volte.

Stadler: Ja, es ist schwierig, meine Häme zu zügeln. Wir haben eine Bundesrätin, die als Konsumentenschützerin früher Impfungen mit grosser Skepsis begegnete. Später hat sie sich einen Namen gemacht als Galionsfigur im Kampf gegen die Gentechnik. Jetzt ist sie bereit, Millionen aufzuwerfen, um gentechnische Impfstoffe in die Schweiz zu holen.

Weltwoche: Skeptiker hegen auch Bedenken, weil es um sehr viel Geld geht. Die Impffrage ist ein Politikum, und viele haben jedes Vertrauen in die Politik verloren. Sie befürchten, dass bei der Zulassung ökonomische und politische Kriterien entscheidender sind als medizinische.

Stadler: Tatsache ist, dass die Schweiz vor Jahren eine blühende Impfindustrie hatte. Zum Beispiel wurde in Bern der erste wirksame Cholera-Impfstoff entwickelt. Unsere Regierung hat allerdings vor Jahren beschlossen, diese Industrie nicht mehr zu unterstützen, weshalb sie langsam verschwand. So ist man jetzt abhängig vom Ausland. Die politischen und ökonomischen Überlegungen hätten dazu führen müssen, so rasch wie möglich wieder eine Impfindustrie als Joint Venture mit dem Bund aufzubauen.

Weltwoche: Der Impfstoff von Astra Zeneca wurde in der Schweiz bislang nicht zugelassen, allerdings nicht wegen Sicherheitsbedenken, sondern weil Swissmedic an der Wirksamkeit zweifelt und mehr Daten abwarten will. Wäre es in Anbetracht des Leidensdrucks nicht ratsam, auch einen vielleicht nicht ganz so effizienten Impfstoff zuzulassen?

Stadler: Mir fehlen die Informationen, um das zu beurteilen. Grundsätzlich: Für die Zulassung eines Impfstoffes sollten eigentlich nur wissenschaftliche Fakten zählen. Da aber weltweit viele Länder eigene Kriterien anwenden, ist es für Swissmedic schwierig, alle Daten zu erhalten, was wiederum nur aufzeigt, dass ein derart wichtiges Instrument für die Volksgesundheit nicht alleine in der Privatindustrie angesiedelt sein darf.

Weltwoche: Von Skeptikern wird oft ein Aufsatz des belgischen Virologen Geert Vanden Bossche zitiert, der davor warnt, dass die Impfkampagnen eine «Immunevasion» provozieren könnten. Das heisst, stark verkürzt: Es könnte nach dem Prinzip «survival of the fittest» die Verbreitung von gefährlicheren Mutationen begünstigt werden, welche die Immunabwehr überwinden. Vanden Bossche sagt, man sollte deshalb einen prophylaktischen Impfstoff nie in einer Population einsetzen, die einem hohen Infektionsdruck ausgesetzt ist, das sei kontraproduktiv. Was sagen Sie dazu?

Stadler: Solche Theorien muss man kritisch betrachten. Die Evolution hat keine Sinnhaftigkeit. Evolutionsbiologisch beobachtet man, dass virale Mutationen meistens dazu führen, dass mehr Menschen befallen werden, aber nicht unbedingt mehr Menschen schwerkrank machen. Den Viren ist nicht gedient, wenn der Wirt stirbt.

Weltwoche: Dem Laien erscheint das menschliche Immunsystem wie ein unendlich komplexes Uhrwerk: Je mehr wir darüber erfahren, desto weniger begreifen wir. Aber versteht es die Wissenschaft wirklich? Laufen wir nicht Gefahr, an einem System herumzudoktern, das wir nicht wirklich begreifen – und dass wir am Schluss mehr Schaden als Nutzen bewirken?

Stadler: Es ist eine ziemlich grosse Überheblichkeit, zu glauben, dass wir Menschen in die Evolution eingreifen könnten, in welche Richtung auch immer. Das kommt davon, weil viele Menschen noch glauben, das Universum sei erschaffen worden. Schliesslich verstehen wir nicht nur die Wissenschaft, unsere Welt oder das Universum noch zu wenig. Unser Planet wird nicht ewig existieren, und er wird noch einige Fehler von uns erdulden müssen. Wichtig ist, dass wir auf Glaubenssysteme verzichten und der Wissenschaft mehr vertrauen. Die Wissenschaft ist im Gegensatz zum Glauben bereit, aus Fehlern zu lernen.

Weltwoche: Impfen galt für die meisten Menschen bislang als eine grossartige Errungenschaft, welche uns vor viel Leid bewahrt hat. Der Glaubenskrieg um Covid-19 könnte dieses positive Image vergiften. Während die einen verlangen, dass Impfmuffel vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden, laufen Skeptiker Sturm gegen indirekten Impfzwang und beschwören einen Impf-Holocaust. Wie kommen wir aus dieser Sackgasse?

Stadler: Die heutige Impfkritik beruht eigentlich auf dem Erfolg der Impfung. Fast niemand mehr kennt die schweren Krankheiten, die einst als Geisseln der Menschheit bezeichnet wurden. Die meisten Krankheiten, die heute dank der Impfung fast nicht mehr präsent sind, machen deswegen keine Angst mehr. Wir sind zu einer Gesellschaft geworden, in der Meinungen meist mehr zählen als Fakten. Die Sackgasse heisst «Meinung», und da kann bekanntlich jeder recht haben. Aber Menschen überzeugt man nicht mit Zwang, sondern mit Fakten und mit dem besseren Argument.

Weltwoche: Sie selber haben sich als Höchstrisikopatient im Spital eine Covid-19-Infektion eingefangen und trotz einer Lungenentzündung überlebt. Was haben Sie aus dieser Erfahrung gelernt? Welche Botschaft können Sie an unsere Leser weitergeben?

Stadler: Am liebsten hätte ich meine Krankheit geheim gehalten. Wohl wissend, dass das ohnehin nicht geklappt hätte, habe ich mir gedacht, es würde vielleicht vielen älteren Menschen guttun, zu hören, dass man selbst als mehrfacher Risikopatient, wie ich es bin, noch einmal davonkommen kann. Wir haben jetzt ein Jahr lang Worst-Case-Szenarien gehört. Es wird langsam Zeit, dass wir Massnahmen ergreifen, um wirklich zurück zur Normalität zu gelangen.

Quelle: https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2021-12/diese-woche/schwierig-meine-hame-zu-zugeln-die-weltwoche-ausgabe-12-2021.html

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