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Wir können den Wölfen ja auch keine Fruchtkörbe hinstellen

(NZZ am Sonntag – Meinungen – Der externe Standpunkt – 30. März 2014, Seite 19)

Die Behauptung, vegan sei gesünder, ist nicht bewiesen. Wir müssen die Tierhaltung neu überdenken – aber das hat nichts mit der Frage zu tun, ob wir als Tiere das Recht haben, Tiere zu töten, meint Beda M. Stadler

Sentience», auf Deutsch Empfindungsfähigkeit, ist die Bezeichnung für zwei Volksinitiativen in Bern und in Basel, damit Väterchen Staat uns vegane Menus in Kantinen von Schulen, Spitälern, Heimen und der öffentlichen Verwaltung offeriert. Die Behörden sollen Anreize schaffen, dass Köche in veganer Kochkunst weitergebildet werden und auch Schüler die Zubereitung entsprechender Gerichte lernen.

Die Sentience-Initianten setzen sich in erster Linie für das Wohl aller empfindungsfähigen Wesen ein und wollen ihnen unnötiges Leid ersparen. Damit haben sie den grössten Teil der Bevölkerung hinter sich. Im Gegensatz zu den Vegetariern, die oft bloss ein traumatisches Erlebnis in der Pubertät hatten, bauen die Veganer auf ein philosophisches Konstrukt im Tierschutz. Goodwill kommt ihnen dabei auch von der älteren Generation entgegen, die gerne und öfter mal auf teures Fleisch verzichtet. Die weiterzubildenden Köche werden allerdings ins Staunen kommen, weil in der veganen Küche selbst Honig als tierisches Produkt gilt. Ein Imker ist für die Veganer somit ein Tierquäler.

Für ihre konsequente Haltung – ein echter Veganer trägt keine Lederschuhe – haben sie Respekt verdient. Veganer sind aus Prinzip gegen Fleisch und nicht prinzipiell. Peter Singer, der Hausphilosoph dieser Bewegung, würde schon mal einen totgefahrenen Hund essen. Die hehre philosophische Haltung erträgt es allerdings nicht, wenn man darauf hinweist, dass wir Menschen Allesfresser sind. Die überlegene moralische Haltung des Veganers hat leider etwas von einer Unfehlbarkeit an sich, was sonst typisch für Religionen ist. Die Behauptung, vegan sei gesünder, lässt sich bis anhin nicht beweisen. Umso mehr erstaunt es, dass die Veganer den Staat missbrauchen wollen, um uns ihre Lebensweise näherzubringen.

Was mir persönlich an der Sentience-Bewegung gefällt, ist die Unverträglichkeit von Veganismus und Bio. Wer sich mit Pflanzen ausgewogen ernähren will, muss Produkte aus aller Herren Ländern kaufen. Denn was der heimische Acker hergibt, reicht höchstens für eine Mangelernährung.

Das haben einige der Initianten eingesehen, etwa die jungen Mitglieder der Giordano-Bruno-Stiftung. Sie fürchten sich nicht vor der Gentechnik und können sich sogar vorstellen, tierische Eiweisse im Labor zu produzieren. Die Vegi-Menus an der Mensa der Universität Bern sehen allerdings noch nicht wirklich danach aus. Zwar ist der kredenzte Tofu sicher aus gentechnisch veränderter Soja, aber die meisten Rezepte würden etwas Parmesan, den berühmten Schuss Rahm oder auch etwas Kalbsfond ertragen, damit ich sie als Schlemmerei betrachten würde.

Die idellen Unterstützer der Sentience-Initianten wirken indes wie aus einem falschen Film, namentlich Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger. Ist er doch einer der Politiker, die uns jahrelang CO2 als Giftgas verkauften und uns den unsäglichen Ablasshandel mit Emissions-Papieren eingebrockt haben. CO2 ist dank der Fotosynthese der billigste pflanzliche Dünger und kein Gift. Den Veganern ist schon bewusst, dass die Pflanzen sich atroph ernähren, also auf eine Düngung des Bodens angewiesen sind, was meist mit tierischen Fäkalien erreicht wird. Auch Bastien Girod von den Grünen scheint mir kein gutes Aushängeschild zu sein. So wie die Veganer uns das Schlemmen vermiesen wollen, wollte er einst die SUV verbieten. Dieser Autotyp wurde danach zum Verkaufsschlager in der Schweiz. Man gewinnt keine Herzen für eine Kampagne, indem man Asketen und Miesepeter zur Unterstützung holt.

Letztlich geht es um den Zeitgeist. Während der Französischen Revolution war es normal, sich daran zu belustigten, wie öffentlich Katzen verbrannt wurden. Unser Verhältnis zu den Tieren hat sich gewandelt. Die meisten höheren Säuger haben eine Biografie wie wir, aber wahrscheinlich nicht die gleiche Vorstellung zur Zukunft. Wir müssen die Tierhaltung neu überdenken, aber das hat nichts mit der zentralen Frage zu tun, ob wir als Tiere das Recht haben, andere Tiere zu töten. Wir können den Wölfen ja auch keine Früchtekörbe hinstellen. Ein Jäger, der sein Wild mit einem Blattschuss erledigt, erfüllt das Prinzip der artgerechten Haltung und wendet eine humane Tötungsart an. Sollten wir derartige ideale Zustände in der Landwirtschaft erreichen, würde auch nichts gegen den Fleischkonsum sprechen.

Da die Evolution keinen Lebenssinn vorgibt, muss man sich selber einen Sinn geben. Für mich gehört dazu, Spass am Leben zu haben. Dazu gehören nun mal ganz unvernünftige Dinge, die mir der Staat bereits jetzt abgewöhnen will: etwa ein Glas Wein zu viel, eine deftige Wurst, die Zigarette danach, und vielleicht sogar mal einen Sonnenbrand. Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass man den Passiv-Duft der Bratwurst verbietet.

Beda M. Stadler, geboren 1950 in Visp, ist Professor für Immunologie und Direktor des Universitätsinstituts für Immunologie an der Universität Bern. Er betreibt Forschung auf dem Gebiet der Allergologie und Autoimmunität. Stadler ist im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus.

NZZ am Sonntag, 30. März 2014, Seite 19

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