Prof. Beda M. Stadler, Immunologie
Auf Latein folgen Mikroben. Danach findet Beda M. Stadler seine Leidenschaft bei den Antikörpern. Heute interessiert sich Stadler für die Vereinigung von Wissenschaft, Philosophie und Kunst. Und er freut sich auf seinen vorgezogenen Ruhestand.
Von Beda M. Stadler
Der Studienbeginn an der Uni Bern war hart. Als Zögling des Kollegiums Spiritus Sanctus in Brig verstand ich wohl ein paar Sprachen, hatte aber sonst den Kopf voll überflüssiger Theologie, historischer Anekdoten und vor allem Latein. Ich schwamm somit in den naturwissenschaftlichen Fächern. Nachbüffeln war angesagt. Im dritten Semester kam die Belohnung. Die Professoren Urs Leupold und Richard Braun eröffneten mir die Welt der Mikroben. Das war interessant, nur machte ich mir Sorgen: Würde ich je ausserhalb der Uni einen Job finden? Mikrobiologen wurden damals höchstens in einer Bierbrauerei benötigt. Die Biotechnologie als Branche war noch nicht geboren und vor Gentechnik fürchtete sich noch keiner.
Am Tierspital wurde ein Praktikum angeboten. Auf einmal waren die Mikroorganismen Bösewichte, gegen die sich der Körper wehren musste. Professor Hans Fey öffnete mit dieser Sichtweise die Büchse der Pandora. Die Mikroorganismen bewirkten körpereigene Antikörper, die damals noch in Opsonine, Anti-Toxine oder Reagine eingeteilt wurden. Sie schienen verantwortlich dafür, dass man immun wurde. Da sich aber meine Tierliebe in Grenzen hielt, wollte ich lieber den Menschen vor Viren, Bakterien oder anderen Mikroorganismen schützen.
Vor Angst fast gestorben
Ich nahm meinen Mut zusammen und ging ans Inselspital zu Prof. Alain de Weck, Direktor des Instituts für Immunologie und Allergologie. Der wusste zwar auch nicht, ob ein Naturwissenschaftler an der medizinischen Fakultät ein Lizenziat machen durfte, wollte es aber mit mir versuchen. Der neue Ziehvater konnte mir im Labor kaum helfen, aber er tat etwas Wichtigeres: Er schickte mich an Kongresse. An meinem ersten Kongress in Deutschland war ich erstaunt, wie liebend gerne Forscher streiten. Es ging damals darum, ob Antikörper entweder Eiweisse sind, so flexibel, dass sie sich an und um alles Fremde legen können. Oder ob es sehr viele verschiedene Gene für Antikörper gibt. Beides stellte sich später als falsch heraus und versöhnte die Wissenschaftler. Aus Pandoras Büchse strömte nun Hoffnung: Antikörper waren definitiv mein Ding.
Als Doktorand musste ich meine ersten Vorträge halten und wäre dabei vor Angst fast gestorben. Die älteren Forscher schienen die eigenen Vorträge zu geniessen und redeten viel zu lange. Unvergesslich bleibt mir ein Plenarvortrag eines Japaners anlässlich einer Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Immunologie in Basel. Ich verstand kein Wort. Als ich meinen Doktorvater fragte, ob er den Vortrag verstanden habe, gab er hinter vorgehaltener Hand zu, auch nichts begriffen zu haben.
Frühe Liebe schwindet nicht
Was war geschehen? Susumu Tonegawa hatte eben zum ersten Mal gezeigt, dass Antikörper-Gensegmente miteinander kombiniert werden können, um neue Antikörpermoleküle zu erschaffen. Das Gen-Rearrangement als Motor für die Biodiversität war geboren. Tonegawa erhielt später dafür den Nobelpreis! Seither ist das Gen- Rearrangement für die Immunologen so schön, wie die Neunte Symphonie von Beethoven für die Musikliebhaber: Es wurde zu einer der wichtigsten Erkenntnisse der Immunologie und befruchtet noch heute andere Wissenschaftsgebiete. Damit wurde die Frage geklärt, wie wir mit weniger als 30 000 Genen mehr als eine Milliarde verschiedene Antikörper produzieren können. Alle Menschen auf diesem Planeten sind verschieden – genau so verschieden sind die Antikörper in unserem Körper, nur dass sie in ihrer Zahl jene der Menschen bei weitem übertreffen.
Seither hat mich meine frühe Liebe nicht mehr losgelassen und es war klar: Antikörper waren mein Forschungsobjekt. Nach der Dissertation durfte ich an die National Institutes of Health in Bethesda, USA. Mein neuer Chef, Jo Oppenheim, fragte mich am ersten Arbeitstag, was ich denn tun wolle. Verunsichert ob so viel Freiheit, stammelte ich: «Antikörper». «Ok» war die Antwort: «Mach monoklonale Antikörper gegen Interleukin 2, ein Zytokin.» Das faszinierte, weil die dafür eingesetzte Technologie brandneu war. Sie stammte von George Köhler, der wie Tonegawa am Basler Institut für Immunologie arbeitete und später für seine Erfindung ebenfalls den Nobelpreis erhielt.
USA oder Bern?
Wir jungen Forscher stürzten uns auf diese Technologie, weil man damit aus der ungeheuren Vielzahl von Antikörpern heraus einen Einzigen klonieren und diesen in grossen Mengen produzieren konnte. Monoklonale Antikörper sind für unser Gesundheitssystem inzwischen Segen und Problem: Derzeit sind bereits einige solcher Antikörper als Therapeutikum in Gebrauch. In der industriellen Pipeline warten indes mehr als 150 weitere Antikörper darauf, ebenfalls angewendet zu werden. Nur: Antikörper sind teure Medikamente und es ist fraglich, ob unser Gesundheitssystem deren Anwendung in grosser Zahl verkraften kann.
Prof. Beda M. Stadler, Immunologie
Die Post-Doc Zeit in Amerika war wunderbar, aber ich musste mich entscheiden. Einerseits hatte ich ein Tenure- Track Angebot in den USA, andererseits stand mein ehemaliger Chef Alain de Weck bei mir auf der Türschwelle und fragte mich, ob ich zurückkommen wolle. Eigentlich war ich emigriert in der Überzeugung, nie mehr in die Schweiz zurückzukehren. Aber ein neues Projekt in Bern reizte mich. Ich sollte von nun an auf dem Gebiet der Allergologie arbeiten und versuchen, monoklonale Antikörper gegen Immoglobulin E (IgE) herzustellen. IgE ist selber ein Antikörper, der bei Allergikern die meisten Symptome verursacht. Bislang war es niemandem gelungen, monoklonale Antikörper gegen IgE zu produzieren. Zurück in Bern gelang dies nach etwas mehr als einem Jahr. Meine Gruppe wuchs und wir hatten alle Spass an den Möglichkeiten, die sich durch das neue Reagenz ergaben.
Darwins wundervolle Hypothese
Gegenwind kam auf, weil ich der Überzeugung war, dass man Anti-IgE-Antikörper in den Menschen injizieren sollte, um damit IgE zu neutralisieren und somit die Allergien zu bekämpfen. Wir haben trotz der Widerstände Konzepte entwickelt und Arbeiten publiziert, die aufzeigten, dass dies möglich ist. Die Zeit war allerdings vorbei, in der ein Forschungslabor therapeutische Reagenzien herstellen konnte. Einen Antikörper in die Therapie zu bringen, kostet heute mehrere hundert Millionen Franken. Einer Schweizer Pharmafirma ist es dann gelungen, einen solchen Antikörper herzustellen, von dem heute Allergiker profitieren.
Alte Liebe rostet eben doch. Jeder konnte in der Zwischenzeit monoklonale Antikörper herstellen. Und sie wurden überall eingesetzt. Meine einstige Liebe begann mich zu langweilen, bis ein Kollege an der Uni Zürich, Professor Andreas Plückthun, die Idee hatte, andere Moleküle in Antikörper zu verwandeln, also künstliche Antikörper zu produzieren. Ein paar seiner Studenten sind mit der Idee abgesprungen und haben eine Firma gegründet, die heute floriert.
Wir haben über Jahre mit ihnen zusammengearbeitet, weil es mich derart faszinierte, dass es nun möglich war, jedes noch so spezifische Molekül der Evolution künstlich nachzumachen und zu verbessern. Es war nicht nur möglich, Milliarden von künstlichen Antikörpern zu produzieren, sondern auch, dies ohne ein Tier, geschweige denn einen Menschen, zu benutzen. Diese neuen künstlichen Antikörper, welche man DARPins nennt, waren echte Evolution im Reagenzglas. Ich verstand Darwin immer besser, und realisierte, was für eine wundervolle Hypothese er in die Welt gesetzt hat.
Es braucht mehr mutige Wissenschaftler
Ich begann die Evolutionstheorie mehr zu lieben als die Antikörper. Diese Theorie, die ja längst keine mehr ist, kann fast alles, was mit dem Leben zusammen hängt, erklären. Sie jagt aber vielen Laien Angst und Schrecken ein. Wenn man bedenkt, dass Darwin ein Zeitgenosse von Marx und Freud war, ist es wirklich erstaunlich, dass wir sowohl Freud und Marx sozial verarbeitet haben, dem guten alten Darwin aber misstrauen, wenn es um die Gentechnik geht. Obwohl Darwin der Schöpfung den Garaus gemacht hat, glauben die meisten Laien heute noch, dass die Gentechnologie ein Eingriff in die Schöpfung sei.
Dank Darwin stellte sich bei mir eine wissenschaftliche Abgeklärtheit ein – vor allem aber die Einsicht, dass es mehr braucht zum Leben, nämlich auch Philosophie und Kunst. Viele älter werdende Wissenschaftler gehen meiner Beobachtung nach diesen Weg. Heute macht es mich ratlos, weshalb ich mich nicht schon früher dafür einsetze, dass die drei wichtigsten Gebiete der menschlichen Kultur – Wissenschaft, Philosophie und Kunst – sich wieder vereinigen. Die Welt wird in nächster Zeit vermehrt Wissenschaftler brauchen, die nicht bloss von Kongress zu Kongress reisen; Wissenschaftler, die nicht bloss Arbeiten schreiben, welche nur von Insidern gelesen und verstanden werden, sondern Wissenschaftler, die den Mut haben, ihren Mitbürgern zu erklären, dass Moral ein evolutionäres Programm – und somit nicht mehr die alleinige Domäne der Philosophie – ist.
Darwin in die Schulen!
Wir haben in der Schweiz ein Moratorium in der grünen Gentechnologie, was eigentlich ein Skandal ist. Der Widerstand gegen die grüne Gentechnik beruht nämlich nur vordergründig auf Risiken und Ängsten. In Wirklichkeit gründet der Widerstand in der religiösen Überzeugung, dass am Anfang unserer Natur ein Schöpfungsakt steht. Wir haben also Bürgerinnen und Bürger, die sich vor Gen-Gemüse fürchten, obwohl wir wissen, dass in den nächsten Jahren die Forschung aus den biochemischen Grundbausteinen Leben schöpfen wird. Wie soll unsere Gesellschaft diesen Schritt dann verarbeiten, wenn sie bis heute Darwin als Begründer der Evolutionstheorie nicht verarbeiten will? Ich hoffe, wir kriegen den gottlosen Darwin in die Schulen rein, damit wir alle bereits in der Jugend etwas weiser werden. Wer Darwin wirklich verstanden hat, denkt, aber glaubt nicht mehr.
Kontakt: Prof. Dr. Beda M. Stadler,
Institut für Immunologie,
beda.stadler@iib.unibe.ch