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Die Biologie erklärt den Geist

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 19. Oktober 2008, Seite 22)

Die Naturwissenschaften bedrohen den Dualismus von Körper und Geist


Beda Stadler

Die Biologie entwickelt sich zu einer Geisteswissenschaft. Das wird einigen auf den Geist gehen. Wie schön war es doch bis anhin, als allen klar war: Wir sind zweigeteilt in einen Körper und einen Geist. Dieser Dualismus wird immer noch von den meisten gern geglaubt. Warum sollte man daran zweifeln?

An vorderster Front sind es Theologen, die sich immer wieder Geistreiches zu Geist und Geistern ausdenken. Wer nicht Geisteswissenschafter ist, gehört meist nicht zur Denk-Elite, man wird zum Experten, sprich Fachidioten, so habe ich es oft empfunden. Zum Beispiel herrschte während der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Gentechnik akuter Mangel an Gegenexperten. Da sich die Geisteswissenschaft vornehm zurückgehalten hat, machte man Gegenexperten aus Menschen mit so wissenschaftsfremden Berufen wie Klavierlehrerin oder Biobauer. Wen wundert’s, in den Schulen haben heute Biologielehrer oft den Status eines Gesangslehrers.

Als die Physiker sich den Anfang des Universums mit einem Big Bang ausdachten, war dies für die meisten Dualisten kein Problem. Sie postulierten einen Geist, der schon immer da war und den Knopf drückte. Die geistige Revolution der Physiker hat somit die Menschheit anscheinend kaum erschüttert, zumindest setzte kein globales Umdenken ein. Die Zweiteilung von Körper und Geist belebt schliesslich massgeblich die Alternativ- und Wellness-Industrie. Ohne geistige Wirkung wären die Gestelle einer modernen Drogerie fast leer, bis auf Produkte, die Weingeist enthalten. Selbst jetzt, da Physiker mit von Menschen geschaffenen Gottesteilchen und dem Risiko eines schwarzen Löchleins drohen, verblasst dies neben den Geistesblitzen einiger Geisteswissenschafter. Professor Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. hat sich oft als Geisteswissenschafter zu Wort gemeldet. Man darf daher gespannt sein, welche Art von Geist von den 3000 Exorzisten, die der Vatikan sucht, bekämpft werden soll.

Die Frage ist, ob sich die Biologie zur neuen Leitwissenschaft gemausert hat, sozusagen klammheimlich die Geisteswissenschaften links überholt hat. Angefangen hatte es bei Charles Darwin, dessen 200. Geburtstag wir nächstes Jahr feiern. In der Folge haben die Evolutionsbiologen festgestellt: Der Mensch hat keinen freien Willen. Obwohl dies eine Invasion in den Bereich der Geisteswissenschaften war, kam die neue Erkenntnis dort bloss als Meinung an. Es kann ja jeder seine eigene Meinung haben! Ein befreundeter Evolutionsbiologe hat mir kürzlich mit der Feststellung zu denken gegeben: «Wer an den freien Willen glaubt, soll versuchen, den Harndrang zu bezwingen.»

Im Sog der Evolutionstheorie haben die Biologen Dolly, Genmais und Konsorten geschaffen, die nun offensichtlich derart geistvolle Produkte sind, dass man sich davor fürchtet. Dabei sind dies bloss Experimente, pure Rationalität, und keine Geistesblitze der Geisteswissenschafter wie etwa Rechtssysteme, politische oder gar religiöse Systeme, vor denen man sich nicht nur fürchten, sondern unter denen man erwiesenermassen leiden kann. Alte Witze haben einen Kern Wahrheit: «Hätte man den Kommunismus im Tierversuch getestet, wäre er nie eingeführt worden.»

Darwins Schüler wiesen experimentell nach: Moral ist ein Produkt der Evolution, sie ist nicht gottgegeben.

Für den Laien wird der Dualismus allerdings Realität bleiben, solange «Out-of-the-Body-Erfahrungen» (der Patient sieht sich selber auf dem OP-Tisch liegen) als Beweis für Geist oder Seele herhalten müssen. Ein Neurochirurg kann trotzdem eine Sonde in das Gehirn des Patienten stechen und genau diese Illusion, unsere Seele könne sich vom Körper trennen, erwecken. Darwins Schüler sind in letzter Zeit noch dreister geworden, weil sie experimentell nachweisen konnten: Moral ist ein Produkt der Evolution, nicht gottgegeben. Dies trifft hoffentlich nicht nur den Geist der Theologen, sondern auch jenen der Juristen. Möglich, dass bald viele Menschen die Biologie für eine Geisteswissenschaft halten werden, ausser den Biologen.


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern. NZZ am

Sonntag, 19. Oktober 2008, Seite 22

(NZZ am Sonntag – Meinungen – Leserbriefe – 26. Oktober 2008, Seite 24)

Der Immune

«Die Biologie erklärt den Geist»
NZZ am Sonntag vom 19. Oktober

Wenn mich ein Schüler in der Berufskunde fragte, was ein Immunologe sei, dann hätte ich ihm antworten müssen: Wenn ich die Kolumnen von Beda Stadler lese, könnte ich daraus schliessen, dass ein Immunologe ein Mensch ist, der gegen jegliche Logik immun ist. Das habe ich natürlich nicht geantwortet, um nicht eine ganze Berufsgattung ungerechtfertigt zu diskriminieren. Das besorgt seit einigen Jahren Herr Stadler mit Berufs- und andern Menschengruppen allmählich flächendeckend und unter dem Zeichen der Wissenschaftlichkeit selber. Den Harndrang als rein biologisches Faktum zu benutzen, um den freien Willen des Menschen zu negieren, ist jedenfalls weder wissenschaftlich noch intelligent. Höchstens ein populistischer Witz. Hoffentlich fallen nicht alle Studenten darauf herein.
Bernhard Aeschlimann, Arlesheim (BL)

Ob Beda Stadler ein guter Naturwissenschafter ist, kann ich nicht beurteilen. Aber er schreibt regelmässig über Dinge, von denen er offensichtlich nichts versteht und über die er gerne sein Gift träufelt. Zum Beispiel über Religion oder über das, was er für Religion hält. Ob seine meist gehässigen Sprüche überhaupt einer Diskussion wert sind, fragt sich. Stadler vertritt seine Weltanschauung mit einem Eifer, den man nur noch als quasireligiös bezeichnen kann. Weil er mehr oder weniger immer dasselbe schreibt, bin ich langsam immun gegen sein Gift. Was mich wirklich ärgert, ist die Arroganz und Verachtung, mit der Stadler andere Wissenschaften und akademische Disziplinen verunglimpft. Seine letzte Kolumne war derart wirr, das man nur noch sagen kann: Gnad uns Gott, wenn Biologen Geist definieren!
Ralph Kunz, Prof. für praktische Theologie, Zürich

Das beste Beispiel für das im Artikel erwähnte Zitat «Wer an den freien Willen glaubt, soll versuchen, den Harndrang zu bezwingen» ist der Artikel selbst. Denn – pardon – so einen Seich kann niemand nach reiflicher Überlegung und in freiem Entschluss schreiben und veröffentlichen. Oder ist der Artikel einfach, weil geistlos, der Beweis dafür, dass es Geist gar nicht gibt?
Philipp Dörig, Stans (NW)

NZZ am Sonntag, 26. Oktober 2008, Seite 24

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