(NZZ am Sonntag – Meinungen – 9. März 2008, Seite 18)
Ein gottloses Kinderbuch soll jugendgefährdend sein. Wer aber verbietet die Bibel?
Beda M. Stadler
Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel» – so lautet der Titel eines Kinderbuchs, das ich gerne meinen Enkelkindern schenken würde. Das Problem ist, ich habe noch keine solchen, und vielleicht darf ich das auch nicht mehr. Die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat sich am Donnerstag nämlich mit dem Büchlein auseinandergesetzt. Die Bundes-Familienministerin stellte den Antrag, das religionskritische Buch auf den Index zu setzen. Das Buch sei antisemitisch und sozialethisch desorientierend. Werden meine zukünftigen Enkel ohne dieses harmlose Büchlein aufwachsen müssen?
Das ist zurzeit nicht klar, da der Abgabetermin dieser Kolumne früher war, was keine Rolle spielt. Die Ferkelei ist nicht rückgängig zu machen. Auch wenn die deutschen Wächter über die Kinderseele hoffentlich den letzten Funken Verstand benutzen, ist intellektueller Schaden angerichtet. Zudem ist noch eine Strafanzeige vom Bistum Rottenburg-Stuttgart gegen das Ferkel-Buch hängig. Das Bistum hat sich vor allem darüber aufgeregt, dass im Büchlein katholische Christen als «Menschenfresser» tituliert werden. Das kleine Ferkel sagt nämlich zu seinem Freund, dem Igel: «Wenn die schon den Sohn vom Herrn Gott verspeisen, wer weiss, was die kleinen Igeln und Ferkeln antun . . .» Das Bistum findet, der Tatbestand der Beleidigung sei erfüllt, schliesslich gehe es um Transsubstantiation. Mich haben Hostien auch immer ein wenig geekelt. Ich habe mich gewundert, wie Fleisch und Blut in eine fade, farblose Oblate hineingelangt. Die Transsubstantiation wurde später noch suspekter, da dem Messdiener auffiel, dass die Herstellung von göttlichem Blut wesentlich mehr Wein als Wasser benötigte. Halten wir fest, die Bibel und Kinderbücher taugen beide offensichtlich nicht dazu, komplexe theologische Erkenntnisse zu erläutern. Vielleicht sind einige Erwachsene zu alt, um Kinderbücher zu lesen, und einige Kinder zu jung, um die Bibel zu lesen?
Der bundesministerielle Indizierungsantrag basiert auf einem Paragrafen, wonach Medien jugendgefährdend sind, wenn sie unsittlich sind, verrohend wirken und zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizen. Ich habe das Kinderbuch gelesen, ohne dass dieser Eindruck entstanden wäre. Das erste Buch, das mir allerdings zu diesem Paragrafen spontan einfällt, ist die Bibel. Ich finde es unsittlich, wenn Väter beschrieben werden, die ihre Kinder abschlachten. Vieles, was mir so einfällt, was Moses, vom Berge hinuntersteigend, sah, könnte auf Kinder möglicherweise verrohend wirken. Nie würde ich meinen Enkeln vorlesen, dass Lot zwei Engel vor einer Vergewaltigung rettete, indem er seine jungfräulichen Töchter dem Pöbel überliess. Die Gewalttätigkeiten in der Bibel, angefangen beim Brudermord bis zur Kreuzigung, werden nicht nur gedruckt, sondern hängen in manchen Familien über dem Esstisch. Es gibt genügend Zeitgenossen, die der Ansicht sind, der Judenhass könnte etwas mit Judas dem Verräter zu tun haben und der irrigen Ansicht, die Juden hätten den Propheten der Christen getötet. Trotzdem erinnere ich mich, dass mir dieses Buch in zartem Alter als Bettlektüre empfohlen wurde. Allerdings habe ich bis heute keinen Antrag zur Indizierung der Bibel gefunden.
Menschen, die an das Irrationale glauben, haben Toleranz verdient. Die Frage ist, ob sie auch Respekt verdient haben.
Also unabhängig davon, ob das gottlose Kinderbüchlein nun auf die Liste gesetzt ist oder nicht: Es bleibt die Frage, ob das Recht, sich über etwas lustig zu machen, höher einzustufen ist als das Recht, die beleidigte Wurst zu spielen. Es stimmt, in diesem Kinderbuch sind die Monotheisten nicht respektvoll gezeichnet. Den Atheisten muss man aber zugute halten, dass sie bis anhin keinen Respekt verlangt haben. Menschen, die an das Irrationale glauben, haben Toleranz verdient. Die Frage ist, ob sie auch Respekt verdient haben. Toleranz und Respekt sollten nicht verwechselt werden: Wer Respekt will, will auch Macht. Gehört die Macht in den Schoss der Irrationalität?
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Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.
NZZ am Sonntag, 9. März 2008, Seite 18
(NZZ am Sonntag – Meinungen – Leserbriefe – 16. März 2008, Seite 22)
Er hat recht! Falsch, er versteht nichts
«Gefährliche Ferkeleien»
NZZ am Sonntag vom 9. März
Schön, dass die «NZZ am Sonntag» der Vernunft immer wieder eine Plattform bietet. Beda M. Stadlers Kolumnen geniessen wir besonders, sind sie doch ein willkommener Kontrapunkt zur allgegenwärtigen Flucht ins Irrationale. Gerade jetzt berichten andere Medien schwerpunktmässig von der Exorzismus-Offensive der katholischen Kirche. Teufelsaustreibungen hätte diese aber selber bitter nötig, wenn sie in Amerika Ablasszahlungen an Pädophilie- Opfer in der Höhe von 660 Millionen Dollar leisten muss!
Grazia und Daniel Annen, Arth (SZ)
Beda M. Stadler ist mir als frustrierter Gottesleugner bekannt, der jede Gelegenheit benutzt, um Gott geistig zu bekämpfen, wie seine Vorbilder Darwin, Dawkins und so weiter. Dafür benutzt er einen schludrigen Stil. Obwohl er sich als Wissenschafter rühmt, kann er kaum plausible Argumente bringen. Evolution und christliche Religion sind beide eine Sache des Glaubens. Bei der Evolution fehlen zahlreiche schlüssige Beweise, und der christliche Glaube ist Gnade.
Adolf Meier, Wermatswil (ZH)
Was beabsichtigen Sie mit den Kolumnen von Herrn Stadler? Für meinen Geschmack sind seine Gedanken das Papier nicht wert, das Sie ihm dafür zur Verfügung stellen.
Hannes Wiesmann, Orpund (BE)
Stadler hat wieder einmal rücksichtslos recht. Diese kannibalische Eucharistie ist schrecklich. Dennoch wollen manche diesen Akt nicht nur als Symbol verstehen, nein, die (Ver-) Wandlung soll tatsächlich stattfinden. Ich habe mich schon als Kind gewundert, wie gediegen fromme Leute unter dem blutenden, gemarterten Jesus über dem Esstisch einen Appetit entwickeln können, der einem Heisshunger gleicht. Heute weiss ich: Sie sind nicht human. Selbstsüchtig wollen sie Gott gefallen, sich einen Platz im Himmel sichern. Wie schlecht wären sie wohl, wenn sie selbst dieses Streben nicht hätten?
Paul Rüegg, Zürich
Ist am Gottesglauben grundsätzlich alles irrational? Was meint irrational: Jenes, das der Vernunft widerspricht, oder jenes, das die Vernunft übersteigt? Nehmen wir das von Beda Stadler gewählte Beispiel: die Messe. Der erwähnte theologische Zugang (Transsubstantiation) und der erwähnte vulgäre Zugang («Aus Brot wird Menschenfleisch») sind nicht die einzigen und schon gar nicht die ersten Wege zum Geheimnis der Wandlung. Wandlung heisst auch: vom Tod zum Leben, von der Erstarrung zum Neuaufbruch. Sterben wird in erinnerte Liebe verwandelt. Aus dieser Bewegung haben hoffende Menschen bis heute immer wieder Kraft zu einer tätigen Nächstenliebe geschöpft, die nicht irrational ist und durchaus Respekt verdient.
Jean-Marc Chanton, Solothurn
Die Kolumne des supergescheiten Professors Beda Stadler mutet an wie ein Karussell, auf dem ein Drache seine Runden dreht: Bei der ersten Ansicht erschreckt man, beim zweiten Umlauf lacht man, und dann schaut man nicht mehr hin. Armer Tropf, der sich so leer wiederholt: Er sieht nur die Welt in einer Richtung vorbeifliegen und versteht so nicht die Bohne.
Josef Slembrouck, Buchs (SG)
Es ist verdienstvoll, dass die «NZZ am Sonntag» von Zeit zu Zeit einem Agnostiker Raum gibt, der aufzeigt, dass sich die Diskussion um Kultfreiheit, politische Aktivität der Religionsführer und so weiter nicht auf den politischen Islamismus beschränkt. Es kommt auch vor, dass christliche Kirchenführer der Versuchung erliegen, dem mündigen Bürger abzusprechen, dass er über philosophische, ethische Fragen demokratisch und frei vom autoritären Druck der Priesterschaft entscheiden darf. Manche Religionsführer stellen sich dem Wettstreit der Ideen nicht auf Augenhöhe mit ihren laizistischen Herausforderern. Das Beispiel des Kinder- Büchleins zeigt, dass auch der Index verbotener Bücher weiterlebt.
Walter Steinebrunner, Zürich
Beda M. Stadler bezeichnet die Bibel als unsittliches Buch, das zu Gewalttätigkeiten, Verbrechen oder Rassenhass reize. Als Beleg werden Beispiele aus dem Alten Testament aufgeführt. Leider verkennt er den Zweck der Bibel. Sie lehrt Sittlichkeit und Moral, in dem sie Geschichten aus dem Alltag wiedergibt. Dass dabei sowohl anerkennenswerte Handlungen als auch anstössige Gegebenheiten enthalten sind, zeugt von der Realitätsnähe des Buches. Der Leser wird dazu angehalten, vom Verhalten der damaligen Protagonisten zu lernen und daraus die Moral für sein eigenes Leben zu ziehen. Dies hat mit Sittlichkeit und Ethik zu tun. Und genau dies sollten Kinder heute wieder lernen.
Achim Kohli, Bern