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Der Boreout-Hoax

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 18. November 2007, Seite 22)

Unterfordert und desinteressiert? Sie leiden nicht am Boreout-Syndrom. Sie sind faul


Beda M. Stadler

Hoaxes lassen uns glauben, etwas Falsches sei real. Fast jeder ist schon einmal auf einen solchen Hoax (etwa in der Form eines angeblichen Computervirus) hineingefallen. 1938 hielten viele New Yorker eine Radioreportage von Orson Welles für die Berichterstattung über eine echte Invasion von Marsmenschen. James Randi, ein Kämpfer gegen das Irrationale, verwendet manchmal Hoaxes, um den Glauben an das Paranormale zu entlarven. Hoaxes sind aber meist bloss peinliche Veräppelungen, wie die Hitler- Tagebücher oder die verbogenen Gabeln von Uri Geller. Einfach weniger offensichtlich, da versteckt hinter einem Anglizismus.

Sind manche Krankheiten, etwa das Offroader-Syndrom, ein Hoax? Die befallenen Patienten entwickeln beim Anblick eines Geländefahrzeugs leichte CO2-Vergiftungs-Erscheinungen, von Schwindel bis zu Druckgefühl in der Brust. Begleitet wird das Syndrom vom Zwang, Autos zu zerkratzen oder wenigstens den Fahrer strafend anzublicken. Offroader-Patienten haben einen übertriebenen Wunsch, ihre Zwänge in der Öffentlichkeit auszubreiten, manchmal sogar als Leserbriefschreiber. Der unbändige Wunsch, die Welt von CO2 zu befreien, ist die logische Form der Selbsttherapie. Wie bei Krankheiten üblich, liegt die Ursache ausserhalb des Körpers und nicht in unseren Genen: Statt um ein infektiöses Agens handelt es sich hier um ein Gas.

Auch die Ursache für das Boreout- Syndrom soll nicht in den Genen liegen. Schuld ist die Gesellschaft. Ein «Boreout» soll ebenso gravierend wie ein Burnout sein. Als wichtiger Auslöser eines Boreouts gelten Chefs, die nicht delegieren können. Gemäss einer Studie zweier Unternehmensberater leiden bereits 15 Prozent der Angestellten in Dienstleistungsbetrieben an der neuen Krankheit. Mittlerweile geben über 40 Prozent der «FAZ»- Leser online zu, an einem Boreout zu leiden oder jemanden zu kennen, der dieses Problem hat. Mich hat es auch erwischt, obwohl ich keinen Chef habe.

Nun, worin besteht ein Boreout? Die Ursachen sind Unterforderung, Desinteresse und Langeweile. Man entwickelt Verhaltensstrategien, wie etwa, bei der Arbeit beschäftigt zu wirken, obwohl dies gar nicht der Fall ist. Versendet man während der Arbeit private E-Mails an Kollegen oder erledigt man sonst wie private Dinge, so ist dies ein Indiz für eine Boreout- Erkrankung. Könnte man gar seine Arbeit schneller erledigen oder würde man gerne manchmal etwas anderes arbeiten, so sollte man dies für sich behalten. Die Diagnose Boreout könnte sonst vom Arbeitskollegen gestellt werden. Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie selber daran leiden, konsultieren Sie den Link www.boreout.com.

«Diagnose Boreout» ist im März 2007 als Buch erschienen und hat Furore gemacht. An der Frankfurter Buchmesse wurde das Buch für zwei deutsche Wirtschaftsbuchpreise nominiert. In ganz Europa haben die Medien das Thema aufgenommen, und zahlreiche Firmen haben bereits Kurse am Schweizerischen Institut für Betriebsökonomie gebucht, um dem Syndrom im Betrieb zu begegnen.

Peinlich wird es für die vielen, die sich in der Öffentlichkeit bereits als faule Säcke geoutet haben!

Bis jetzt hat niemand bemerkt, dass es sich bei dieser neuen Krankheit um einen Hoax handelt. Ich möchte daher den beiden Autoren Philippe Rothlin und Peter R. Werder hiermit öffentlich gratulieren. Dieser Hoax war meisterhaft! Es dauerte lange, bis jemand reagierte. Es gab wenige Winke, ausser vielleicht das schalkhafte Lächeln der beiden sympathischen Autoren auf obiger Homepage. Natürlich werden sich jetzt viele melden, sie hätten es längst gewusst. Peinlich wird es für die vielen, die sich in der Öffentlichkeit bereits als faule Säcke geoutet haben! Es bleibt ihnen die Flucht nach vorne: mittels Gentests epidemiologische Studien durchzuführen. So wie man jetzt weiss, dass das Aids-Virus vom Affen auf uns übersprang, findet man vielleicht den Erreger für Faulheit. Es würde mich nicht erstaunen, wenn es sich um ein Virus handelte, das vom Faultier auf uns übergesprungen ist.


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 18. November 2007, Seite 22

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