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Sind Medikamente zu billig?

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 29. Juli 2007, Seite 14)

Krankenkassenprämien sind ein Akt der Solidarität


Beda M. Stadler

Anlässlich der Jahrestagung «Pharma und Gesundheitsmarkt Schweiz» erklärte der Generalsekretär des Pharmaverbandes Interpharma, Thomas Cueni, dass Medikamente in der Schweiz nicht teurer seien als im Ausland. Die Quervergleiche überzeugten den Zuhörer beinahe, und man war gespannt auf Rudolf Strahm. Der Preisüberwacher projizierte seinerseits Statistiken und kam zu einem anderen Schluss. Wem sollte man glauben?

Der Pharmavertreter benutzte die Medikamentenpreise gemessen an ihrem Umsatz für den Vergleich. Monsieur Prix beklagte sich, die Industrie hüte die Umsatzzahlen als Geheimnis, weshalb ein Bundesamt eben anders rechne. Er meinte auch, mit Statistiken könne man ohnehin alles belegen.

Rudolf Strahm war strikt dagegen, die Preise an den nationalen Wohlstand zu knüpfen. Analog zu Elektronikgeräten, die früher in Asien billiger waren, aber heute bei uns ebenso günstig sind, obwohl es uns besser geht als den Asiaten. Nur, gilt die gleiche Logik auch für Aids-Medikamente in Afrika? Welche Medikamente könnten die Drittweltländer gemäss ihrem Wohlstand überhaupt noch berappen? Kurt Aeschbacher, der Tagungsmoderator, brachte es auf den Punkt. Er fragte reihum: «Wie sieht ein fairer Preis für ein Medikament aus?» Das hat Ratlosigkeit bis Betroffenheit bei den anderen Referenten ausgelöst, von Mitarbeitern des Bundesamtes für Gesundheit bis hin zur Industrie.

Sozialromantisch betrachtet wäre ein Preis fair, wenn jeder Patient unabhängig von seinem Einkommen ein Medikament jederzeit kaufen könnte. Bei uns haben Medikamentenpreise allerdings weder positiv noch negativ etwas mit Kaufkraft zu tun. Niemand redet gern darüber, aber es sind einkommensschwache und vor allem ältere Leute, die überdurchschnittlich viele Medikamente konsumieren. Anders ausgedrückt: Viele dieser «Patienten» beziehen Medikamente, die sie gar nicht benötigen. Bisher lebten diese Leute mehrheitlich in den Agglomerationen. Proteste blieben aus, da die städtischen Sozialnetze anscheinend grobmaschig sind. Bald werden die umliegenden Gemeinden, in denen die einst jungen Eltern nun alt werden, mehr Sozialausgaben tätigen müssen. Der Ruf nach noch billigeren Medikamenten wird weitergehen, auf dem Land ist man knausriger.

Möglicherweise wirken Medikamentenpreise auch überhöht, weil viele Leute glauben, Medikamente würden gratis abgegeben. Wie viel darf ein Produkt kosten, das einem das Leben rettet? Mehr oder weniger als die Ferien? Niemand von uns wirft einen neuen Anzug weg. Liegt aber nicht genau dieser Betrag achtlos in manchem Medikamentenschrank, weil man die verordneten Medikamente gar nicht genommen oder ein Antibiotikum zu früh abgesetzt hat? Seit Originalpräparate und Generika sich im Preis angenähert haben, sind Medikamente erst recht zu Wegwerfprodukten geworden.

Es geht nicht darum, Ende Jahr gleich viel bezogen zu haben, wie man an Prämien in die Kassen einbezahlt hat.

Wen erstaunt es, dass Wellness in der Form von Alternativmedizin auch in die «Gratiskassen» aufgenommen werden soll? Aufgepasst! Die Alternativmediziner missbrauchen bereits ein neues Schlagwort: «value-based medicine ». Darunter versteht man die Bewertung der Kosten für medizinisches Handeln mit dem resultierenden Nutzen für den Patienten. Verkauft man einem Patienten reines Wasser ohne Wirkstoffe, ist dies nicht besonders teuer. Glaubt der Patient danach, geheilt zu sein, scheint die Rechnung aufzugehen. So etwas darf aber nicht als «value-based medicine» gelten, sonst wären die wirksamen Medikamente wirklich zu teuer. Trotzdem werden wir bald lernen müssen, wie viel medizinische Dienstleistung wir abholen und was uns diese Leistung bringt. Kann man es noch in die Köpfe der Leute bringen, dass die Krankenkassenprämien ein Akt der Solidarität sind und es nicht darum geht, Ende Jahr gleich viel bezogen zu haben, wie man einbezahlt hat? Der Verkauf von Medikamenten ohne Wirkstoffe sollte aber ein Fall für die Gerichte und nicht für die Krankenkassen sein.


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 29. Juli 2007, Seite 14

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