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Esoterik im Ständerat

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 1. Juli 2007, Seite 22)

Wer Kranke mit Wasser behandeln will, desavouiert die Wissenschaft


Beda M. Stadler

Bin über dieses Zitat gestolpert: «Sie ist der Auffassung, dass der Begriff ‹wissenschaftlich› nicht im Sinne von ‹naturwissenschaftlich› verstanden werden muss und dass hier insbesondere der Komplementärmedizin Platz zu geben ist.» Der Satz erstaunt, es eröffnen sich neue Möglichkeiten: Ob ein Handy funktioniert, könnte auch ohne naturwissenschaftliche Logik eruiert werden. Der Vorteil: Handys ohne Akku wären weniger giftig und leichter.

Der ominöse Satz stammt nicht aus einem Esoterik-Journal, sondern steht im Ratsprotokoll vom 7. Dezember 1992 der Eidgenössischen Leistungskommission. Er wurde neulich wieder in der Begründung der Motion «Überprüfung der ärztlichen Komplementärmedizin in der Grundversicherung» von Ständerätin Erika Forster zitiert.

In der Motion wird der Bundesrat beauftragt, bis Ende 2008 zu prüfen, ob anthroposophische Medizin, Homöopathie und traditionelle chinesische Medizin im Rahmen des «Programms Evaluation Komplementärmedizin» (PEK) mit adäquaten wissenschaftlichen Methoden den Nachweis der Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erbracht haben. «Falls einzelne oder alle Methoden den gesetzlich erforderlichen Nachweis erbracht haben, so sind sie definitiv in die Grundversicherung aufzunehmen.» Allerdings, die Unwirksamkeit ist längst bewiesen; anscheinend geht es jetzt um Wahlen oder Geld.

Diese Motion ist von 14 Ständeräten mitunterzeichnet. Ich will die Namen nicht aufzählen: Peinlichkeiten haben eine Grenze. Die Ständeräte scheinen mit dieser motionären Begründung einverstanden zu sein: «Der Nachweis der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit gemäss Artikel 32 des Krankenversicherungsgesetzes muss mit wissenschaftlichen Methoden, nicht aber zwingend nach schulmedizinischen Kriterien erbracht werden: Im Gegensatz zum geltenden Recht müsse eine Behandlungsmethode nicht mehr von der Schulmedizin als wissenschaftlich anerkannt sein. Der Nachweis, dass eine Methode wirksam ist, genüge, so stehe es in den KVG-Abstimmungserläuterungen vom 4. Dezember 1994.» Hat man damals den Stimmbürgern erläutert, dass eine Schulmedizin ohne Naturwissenschaft wie ein Handy ohne Akku ist?

Es gibt offensichtlich Ständeräte, die der Meinung sind, es gäbe Wissenschaft, die der naturwissenschaftlichen Methode und Logik nicht genügen müsse. Bisher habe ich solche Ansichten bloss von Theologen gehört. Ich hoffe, Alternativmedizin wird jetzt nicht mit religiösen Methoden evaluiert. Man muss sich fragen, ob diese Motion an Absurdität zu übertrumpfen ist. Man braucht kein Jurist zu sein, um die folgende Straftat zu beurteilen: Verkauft jemand über das Internet Medikamente ohne Wirkstoff, darf man von Betrug sprechen. Verkauft hingegen jemand ein homöopathisches Präparat, auf dem eine Zahl grösser als C12 steht, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass in diesem Präparat kein einziges Molekül der Urtinktur mehr vorhanden ist. Soviel Rechenkunst müsste auch einem Ständerat zuzutrauen sein!

In Zukunft soll der Verkauf von Medikamenten ohne Wirksubstanzen straffrei sein.

Die Ungeheuerlichkeit, kranke Menschen mit Wasser behandeln zu wollen, sollte wenigstens dem Doppelblindversuch, der grössten wissenschaftlichen Errungenschaft des letzten Jahrhunderts, standhalten. Bisher haben sämtliche technischen Errungenschaften diesem Prinzip genügt. Selbst die Alchemisten hat es zur Vernunft gebracht. Im Falle der Homöopathie haben Doppelblindversuche keinen signifikanten Unterschied zum Placebo nachweisen können. Trotzdem soll der Bundesrat gezwungen werden, die PEK und, schlimmer noch, die Wissenschaft zu desavouieren, um den Verkauf von reinem Wasser oder Zucker in der Form von Globuli in der Grundversorgung unserer Krankenkassen zuzulassen. In Zukunft soll der Verkauf von Medikamenten ohne Wirksubstanzen straffrei sein. Legalize void drugs. Das kann ja heiter werden.


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 1. Juli 2007, Seite 22

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