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Was ist mit den Grünen los?

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 6. Mai 2007, Seite 22)

Künstlich hergestellte, Herbizid-tolerante Pflanzen finden grossen Anklang


Beda M. Stadler

In Europa wachsen genetisch veränderte Pflanzen, und niemand regt sich auf, niemand zerstört die Felder. Diese neuen Pflanzen werden von den militanten Gentechnikgegnern bis hin zu den Health-Food-Aposteln akzeptiert. Es handelt sich dabei um Reis, Mais, Raps, Sonnenblumen und bald auch Weizen. Einige dieser genetisch veränderten Pflanzen sind – o Schreck! – herbizidtolerant. Das heisst, sie erdulden ein Breitspektrum-Herbizid, das anderen Pflanzen auf dem Feld den Garaus macht. Die Bauern müssen nicht jäten, und die Pflanzen liefern mehr Ertrag. Wie konnte es so weit kommen? Herbizidtolerante Pflanzen sind doch das Schreckgespenst der Grünen. Wo bleibt der Aufschrei von Öko-Kabarettisten, wie Franz Hohler, oder von Clowns, wie Gardi Hutter, die sonst bei jeder Genmanipulation aus der Haut fahren?

Die neue Technologie nennt sich «Clearfield» und stammt von der Gentechfirma BASF in Ludwigshafen, die in Pollenflug-Distanz zur Schweiz liegt. Das stimmt zwar nicht wirklich, aber die Biobauern tun ja seit Jahren so, als ob der Pollen erst mit der Gentechnik fliegen gelernt hätte. Gerne wird suggeriert, Pollen flögen gleich weit wie der Wüstensand. Warum hat der Geschäftsführer der Kleinbauernvereinigung eigentlich noch nicht Alarm geschlagen? Er müsste doch wissen, dass genetische Merkmale auf Wildpflanzen übertragen werden! Der Raps hat genügend Verwandte bei uns, wie man aus dem Biologieunterricht weiss. Es spielt keine Rolle, wie die Herbizidtoleranz in die Pflanze eingeführt wurde. Ist ein Gen einmal in einer Pflanze, kommt es zum Genfluss. Das müsste doch für jene Journalisten ein Fressen sein, die jahrelang im Zusammenhang mit der Gentechnik von «unabsehbaren Gefahren» geschrieben haben. Warum sollen die Gene der Clearfield-Pflanzen nicht auch in der Natur herumfliegen? Das sind natürlich rhetorische Fragen: Selbstverständlich tun sie es.

Die Konsumentenschutz-Zwillinge, Simonetta Sommaruga und Jacqueline Bachmann, müssten also an die Öffentlichkeit gehen. Es wäre Zeit für eine parlamentarische Anfrage, damit endlich die Kantonschemiker Tests entwickeln, um die Clearfield-Technologie nachzuweisen. Möglicherweise gibt es ja in den Bio- und Reformhäusern längst Sonnenblumenkerne, in denen Clearfield-Marker nachweisbar sind. Für einmal sollte Greenpeace nicht nur bei der Migros aufmarschieren, die Aktivisten könnten in den Bioläden neben den Sonnenblumenkernen auch noch Linsen konfiszieren. Fast sicher findet sich ein Clearfieldpositives Körnchen auf 10 000 Stück, so wie damals beim gentechnisch veränderten Reis.

So ungeheuerlich dies alles tönt, es ist legal. Der aufmerksame Leser hat es bemerkt: Es handelt sich hierbei nicht um eine gentechnische Veränderung, sondern um eine genetische Veränderung. Die Gentechfirmen benutzen nämlich wieder Methoden aus dem züchterischen Mittelalter. Seit 80 Jahren hat man die Mutationszucht verwendet, um neue Pflanzensorten herzustellen. Pflanzen werden genetisch manipuliert, oft durch radioaktive Bestrahlung, aber ohne ein neues Gen einzufügen. Mit solchen Methoden sind mehr als 2000 verschiedene neue Pflanzensorten entstanden, die längst auch von Biobauern verwendet werden. Bemerkenswert ist bloss, dass man neuerdings mit dieser Blindmethode, die weniger genau ist als die Gentechnik, herbizidtolerante Pflanzen hergestellt hat.

Warum hat der Geschäftsführer der Kleinbauernvereinigung eigentlich noch nicht Alarm geschlagen?

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Der Dritte sind wir, die Konsumenten. Dieser Technologie verdanken wir nämlich kernlose Trauben, Grapefruits oder Orangen. Willkommene Früchte, bei denen man nicht ständig die Kerne ausspucken muss. Dieser Genmanipulation verdanken wir bessere Pasta, Pflanzen mit grösserem Ertrag oder solche, die früher reif werden. Zur Freude unserer Liebsten hat man damit prachtvollere Blumen und Zwergpflänzchen gezüchtet. Es lebe die heimliche Genmanipulation – obwohl sie gefährlicher ist als die Gentechnik.


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 6. Mai 2007, Seite 22

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