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Wählt atheistische Politiker

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 11. Februar 2007, Seite 22)

Ein Appell zur Offenlegung der religiösen Gesinnung in der Politik


Beda M. Stadler

Wir haben Wahljahr. Bald flattern wieder Prospekte ins Haus, welche die Politkandidaten möglichst kantenlos beschreiben; etwa in welchen Vereinen sie mittun, ob sie gerne wandern und Musik hören.

Mich würde hingegen interessieren, welcher Politiker sich als «Atheist» bezeichnet. Pardon, da es auch die Göttin geben soll, natürlich auch wer «Atheistin» ist. Warum ist dies wissenswert? Professor Sandro Cattacin, Direktor des Soziologischen Instituts der Universität Genf, fand in einem nationalen Forschungsprojekt heraus, es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen Religiosität und Menschenfeindlichkeit: «Nichtreligiöse sind klar weniger rassistisch, weniger sexistisch, weniger homophob, weniger xenophob.» Sind das nicht Prädikate, die bis jetzt keiner Partei zugeordnet werden können?

Ich weiss nicht, wie gross der Prozentsatz der Atheisten in der Schweiz ist, aber um gewählt zu werden, sollten doch auch Ungläubige als Wählerpotenzial interessieren. In Amerika scheint dies nicht der Fall zu sein. Schliesslich behauptet G.W. Bushs Vater, ein Atheist sei kein echter Patriot. Im amerikanischen Parlament hat tatsächlich kein einziger Politiker ein Comingout als Atheist gemacht. Oder sollte es vielleicht sein, dass nur religiöse Menschen sich für Politik interessieren und gewählt werden? Fehlen auch bei uns – gemäss Cattacins Definition – die menschenfreundlichen Politiker?

Bei uns besteht in Sachen Religion kein Zweifel, falls ein Politiker einer religiösen Partei angehört. Da weiss der Wähler, bei diesen Leuten könnte die Stellung der Frau in der Kirche – und somit in der Gesellschaft – ein Gewissenskonflikt darstellen. Auch Homosexualität oder Verhütung werden in solchen Kreisen noch immer kontrovers diskutiert. Im letzten Jahr haben sogar Karikaturen der freien Meinungsäusserung Grenzen gesetzt, weil der Respekt vor den Monotheisten ein höheres Gut sei. Dabei hätten Politiker ohne C oder E in der Parteibezeichnung noch weitere Vorteile, gibt es doch wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, Atheisten sind meist intelligenter. Selbst die Scheidungsrate ist bei Atheisten niedriger als bei religiösen Menschen.

Die Säkularisierung ist bei uns noch nicht abgeschlossen, wenn Gott in der Verfassung vorkommt oder in der Asyldebatte das Kirchenrecht höher als das Staatsrecht hängt. Es wäre also von einigem Interesse, zu erfahren, wer Atheist ist, da bei religiös angehauchten Politikern die Meinung zu Minaretten, Adventskränzen in den Schulen oder zu ganz praktischen Fragen wie den Ladenöffnungszeiten gemacht ist. Religiöse Politiker sind zudem eine Bedrohung, da sie an Wunder glauben. Ein Wunder ist nicht reproduzierbar und somit undenkbar, falls es Naturgesetze gibt. Wunder sind also eine Beleidigung für das logische Denken. Sollen Wundergläubige für uns Entscheide treffen?

«Nichtreligiöse sind klar weniger rassistisch, weniger sexistisch, weniger homophob, weniger xenophob.»

Als Wissenschafter interessiert mich, ob ein Politiker Begriffe wie «Schöpfung» und «Evolution» durcheinanderbringt. Atheisten wären wenigstens eine kleine Garantie, dass bei Themen wie der grünen Gentechnologie, Stammzellforschung oder Keimbahntherapie nicht wieder der beleidigende Vorwurf zu hören ist, wir Forscher würden in die Natur eingreifen. So etwas kann nur jemand behaupten, der noch an eine Schöpfung im biblischen Sinn glaubt und in der Schule Biologie geschwänzt hat. Daran zu glauben, ist das eine, aber aufgrund eines solchen Märchens unser Leben reglementieren zu wollen, ist ein anderes. Schlimm genug, dass es immer noch Menschen gibt, die meinen, die Evolution sei eine Hypothese. Den Holocaust darf man nicht leugnen. Aber wie lange muss man es noch dulden, dass gewisse Leute die Evolution, ein wissenschaftliches Faktum, leugnen dürfen? Da für diese Glaubensfanatiker selbst Fossilien keine Argumente sind, wäre es eben interessant zu erfahren, welcher Politiker dieses Jahr den Mut hat, sich im Wahlprospekt als Atheist zu outen.


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 11. Februar 2007, Seite 22

(NZZ am Sonntag – Meinungen – Leserbriefe – 18. Februar 2007, Seite 21)

Spottprosa über Andersdenkende

«Wählt atheistische Politiker»
NZZ am Sonntag vom 11. Februar

Sind Atheisten wirklich bessere Politiker und Menschen, Herr Stadler? Wo waren Sie, als Ihre Kollegen die Biologie schwänzten, aber den Geschichtsunterricht verfolgten? Hitler, Stalin, Himmler, Mao, Pol Pot waren allesamt Atheisten. Die haben wirklich tüchtig aufgeräumt mit den Religionsangehörigen. De Gaulle, Adenauer und ihre Kollegen, die den von den gründlichsten europäischen Atheisten des letzten Jahrhunderts hinterlassenen Scherbenhaufen aufgeräumt haben, waren keine Atheisten mehr. Aber auch wirklich grosse Denker und Naturwissenschafter waren keine Atheisten: Johann Wolfgang Goethe, Karl Jaspers, Leo Tolstoi, Blaise Pascal, Max Planck, Isaac Newton, übrigens auch Charles Darwin. Nobelpreisträger Werner Heisenberg hat prägnant erkannt: Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.
Andres Büsser, St. Gallen

Mir sind gläubige christliche Politiker, welche sich auch Gott gegenüber für ihr Tun verantwortlich fühlen, allemal lieber als Atheisten. Was atheistische Politik der Welt gebracht hat, haben uns gerade das vergangene und das laufende Jahrhundert in erschreckender Weise vorgezeigt. Wo sich die Politik der Christen verrannt hat, ging es leider immer um Macht statt um das Evangelium und seine Anwendung.
Werner E. Hablützel, Rothrist (AG)

Danke für Ihr polemisches Plädoyer gegen religiöse Überzeugungen. Ich nehme an, dass Sie sich selber zur intelligenteren Menschengruppe der Atheisten zählen. Ihre Argumentation liefert ein schönes Beispiel dafür, dass auch aus dieser Gruppe nicht nur Gescheites zu hören ist. So ist es völlig unangebracht, alle Religiösen in einen einzigen dummen Topf zu werfen. Es braucht einiges an Gehirn-Akrobatik, wenn man den Glauben an einen Schöpfergott gleichsetzt mit der Leugnung des Holocaust – der ironischerweise von einem atheistischen Regime gegen ein gläubiges Volk gerichtet war.
Hannes Wiesmann, Orpund (BE)

Nach Stadlers einfacher Gleichung sind Atheisten Menschenfreunde. Interessanterweise hat man beim Lesen seiner Kolumnen seit Jahren nie den Eindruck, dass er ein besonders grosser Philanthrop sei, verhöhnt er doch Menschen zu Hunderttausenden, die nicht in sein wissenschaftlich eingeengtes Glaubensspektrum passen: Homöopathie, biologischer Landbau, die Grünen, diesmal die «religiös Angehauchten» – was hat er nicht schon alles mit seiner Spottprosa durch den Dreck gezogen. Jedenfalls braucht er für seine offensichtliche Xenophobie keine ausländischen Feinde, er findet sie zuhauf im eigenen Volk und beweist so, dass sein Atheismus auf gewaltigen Glaubenskräften ruht.
Bernhard Aeschlimann, Arlesheim (BL)

Beda M. Stadler ahnt nicht, wie klar er vor Augen hat, was schon bald eintreffen könnte: ein Verbot für die Ausübung jeglicher Religion. Wir machen einen ersten Schritt dahin, indem wir Atheisten wählen. Wie gut es uns dabei gehen wird, zeigt uns Dean Hamer. Er bekennt sich zur Homosexualität und hat nichts gegen Abtreibung einzuwenden. Wenn alle so denken und handeln würden, wären nach zirka 120 Jahren die Atheisten ausgestorben und mit ihnen die Menschheit.
Thomi Horath, Zürich

Beda M. Stadler schreibt Klartext. Leider erschien sein fundamentalistischer Text nicht schon vor 50 Jahren europaweit – als die römischen Verträge abgeschlossen wurden, welche die europäische Integration auslösen wollten. Waren doch die drei «Gründungsväter» – De Gasperi, Schuman, Adenauer – religiöse, per definitionem menschenfeindliche Männer, die zudem an das Wunder eines europäischen Friedens glaubten. Um wie viel besser wäre es doch in Europa geworden, wenn der per definitionem menschenfreundliche Atheist Stalin ein neues Europa geschaffen hätte!
Anton Hopp, Arbon (TG)

In einer immer mehr verunsicherten Gesellschaft sind nicht leere Worte und falsche Versprechungen gefragt, die dem Zeitgeist huldigen, sondern tragende Werte, auf die Verlass ist. Wie analysierte Goethe messerscharf: «Alle Epochen, in denen der Unglaube einen kümmerlichen Sieg behauptet, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit der Erkenntnis des Unfruchtbaren abquälen mag.»
Hans Meier, Winterthur

Religiöse Politiker und Politikerinnen sind nicht so dumm, wie Beda Stadler sie darstellt, und keineswegs allesamt in einen religiös-fundamentalistischen Kübel zu werfen. Wahres Christ-Sein heisst sich einsetzen für Minderheiten, Arme und Kranke, sich auflehnen gegen Rassismus, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit. So hat der Schweizerische Katholische Frauenbund – immerhin der grösste konfessionelle Verband in der Schweiz – sowohl zur Problematik des Schwangerschaftsabbruchs, der Sterbehilfe sowie der Stammzellenforschung zusammen mit Fachleuten Diskussions- und Positionspapiere herausgegeben als auch mit anderen konfessionellen Frauenverbänden eine vielbeachtete Tagung gegen Rassismus in der Schweiz durchgeführt.
Caroline Meier-Machen, Schneisingen (AG)

Wie kann jemand, der sich selbst als Wissenschafter auf den Sockel stellt, so einen Stuss schreiben? Ich vermute fast, dass das Ganze eine Glosse sein soll. Was sagt denn Herr Stadler zu all den grossartigen Wissenschaftern, die an Gott glaubten und glauben und gerade wegen des Glaubens bahnbrechende Entdeckungen gemacht haben?
Stefan Fry, Männedorf (ZH)

Eine gewisse Zurückhaltung gegenüber religiös engstirnigen Politikern ist angebracht. Doch der Autor macht es sich etwas gar zu einfach, der Glaube an einen Schöpfer und die Anerkennung der Evolutionslehre schliessen sich keineswegs aus. Und auch die Atheisten sind mit Vorsicht zu geniessen. Unsere abendländische Ethik ist vor allem bestimmt durch ihre christlichen Wurzeln. Kommunismus und Nationalsozialismus hingegen waren atheistische Ideologien, welche höchstens aus taktischen Gründen die Kirche einspannten. Was wir brauchen, sind nicht unbedingt Atheisten, sondern religiös tolerante Politiker.
Josef Winteler, Räterschen (ZH)

Beim Lesen dieses Artikels bleibt einem die Spucke weg. Nicht nur werden Religiöse als wenig intelligent und rassistisch bezeichnet, sondern generell als dümmlich dargestellt. Es entsteht der Eindruck, als wäre Religiosität etwas für Menschen, die mit dem Leben nicht klarkommen, einen niedrigen Intelligenzquotienten aufweisen und die es nötig hätten, ihr Leben auf ein Märchen wie die Bibel zu stützen.
Achim Kohli, Bern

Ich bin dankbar für christliche Politiker, die ihre Entscheidungen nicht nur gegenüber ihren Wählern, sondern an erster Stelle gegenüber Gott zu verantworten haben. Herrn Stadler wünsche ich, dass er trotz allem Glauben an die Evolutionstheorie zu staunen lernt über die Grösse dessen, der diese Naturgesetze in genialer Art geschaffen hat, und dass er Mitbürger nicht geringschätzt, die die Wahrheiten nicht nur im Reagenzglas prüfen.
Hans-Werner Heiz, Egg (ZH)

NZZ am Sonntag, 18. Februar 2007, Seite 21

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