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Meme zu Weihnachten

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 17. Dezember 2006, Seite 20)

Warum Kinder auch vor den Folgen der Religion geschützt werden sollten


Beda M. Stadler

Falls Sie Freunde haben, die schon alles besitzen, hier ein Vorschlag für ein originelles Weihnachtsgeschenk. Schenken Sie Meme. Sie haben richtig gelesen, nicht Gene, sondern Meme. Gene zu verschenken, ist nicht so schwierig, im angenehmen Fall nennt man dies Geschlechtsverkehr, als unabsichtliches «Geschenk» ist es meistens eine Ansteckung. Vergessen wir also die Gene.

Unter Memen stellt man sich die kleinste Denkeinheit vor, die kleiner ist als ein Konzept oder eine Idee. Meme sind möglicherweise komplexere oder höhere Informationsträger, als es die Gene sind. Trotzdem, niemand weiss so richtig, was ein Mem ist. Sicher ist, Meme haben etwas mit Denken zu tun. Vielleicht sind wir beim Verständnis der Meme erst an der Schwelle, wo Mendel damals mit den Genen gestanden ist, als er seine Erbsen gekreuzt hatte. Meme scheinen hingegen ansteckend wie Viren zu sein. Und so wie man gegen ein Virus immun werden kann, kann man auch gegen Meme immun werden.

Falls Sie Ihren erwachsenen Kindern also immer noch das Märchen vom Christkind und Samichlaus erzählen, sind diese in der Zwischenzeit wahrscheinlich immun gegen solche Meme, nicht aber gegen die Meme, aus Liebe Geschenke zu erhalten.

Richard Dawkins, Biologe und prominenter Vertreter dieser Mem-Hypothese, hat mir schon einige Meme verpasst. Einige waren derart infektiös, dass ich ihnen hilflos ausgeliefert bin. Im Nachhinein bin ich sogar dankbar dafür, Meme können nämlich auch gutartige Infektionen darstellen. Zum Beispiel: Dawkins hat mit einem einzigen Satz eine weltweite Kampagne gestartet. In diesem Satz sind äusserst ansteckende Meme. Achtung, Sie können jetzt noch mit Lesen aufhören, sonst bleibt bloss die Hoffnung, dass ihr Gehirn die Meme kennt und bereits immun ist. Falls Sie bereit sind, weiterzulesen, wäre dies eben mein Weihnachtsgeschenk zum Weiterschenken. Mit dieser Art von Weihnachtsgeschenk verhält es sich aber so wie mit einer Kiste Zigarren: Die Nichtraucher werden keinen Gefallen daran haben. Es geht los!

Der Dawkinssche Satz lautet: «Schützt die Kinder vor Religion!»

Niemand bezweifelt, dass Kinder vor Alkohol, Tabak, Pornographie oder dem Strassenverkehr geschützt werden sollen. Mehr Kinder sterben allerdings an Religion als an diesen Gefahren. Das Perfide daran ist, dass Kinder die Religion der Eltern ungefragt übernehmen müssen. Für viele folgt später ein mühsamer Prozess, diese Prägung wieder abzulegen. Die Schweiz leidet derzeit ja unter mehreren Pfarrersöhnen und den religiösen Memen in ihren Köpfen.

Werden Kinder vor Religion geschützt, geht es nicht bloss um das Verhindern von Exzessen, wie wir sie kennen: Etwa dass nicht alle Kinder zum Schwimmunterricht dürfen, dass sich pubertierende Fanatiker Bombengürtel umschnallen oder dass sich niedliche Mädchen verschleiern.

Nein, wir könnten auch bei uns beginnen: keine Tauffeiern, keine Firmungen, keine Kreuze in öffentlichen Räumen, religionsfreie Kindersendungen, die Bibel erst ab sechzehn Jahren, also nichts, wodurch ein Kind gezwungen werden könnte, seine Seele vor der Volljährigkeit zu verkaufen.

Die Schweiz leidet derzeit unter mehreren Pfarrerssöhnen und den religiösen Memen in ihren Köpfen.

Falls Sie nicht immun waren gegen die Meme im Satz «Schützt die Kinder vor Religion!», sind Sie jetzt hoffnungslos angesteckt und werden diese Meme ein Leben lang nie mehr los. Sollten Sie sich vor einer ungewollten Ansteckung fürchten, hilft nur eines: wütend werden und die Meme sogleich bekämpfen. Hilft fluchen nicht, bekreuzigen Sie sich, oder fallen Sie in Richtung Mekka auf die Knie. Die Suche nach einer möglichst logischen Ausrede, weshalb Ihre Kinder gleich denken müssen wie Sie, nützt allenfalls auch. Falls Sie hingegen den Mut haben, dieses Geschenk weiterzureichen (eine E-Mail genügt), können Sie dieses Jahr unter dem Christbaum «Ihr Kinderlein, kommet» singen, ohne falsch verstanden zu werden.


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 17. Dezember 2006, Seite 20

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