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Alternativmedizin Rotwein

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 22. Oktober 2006, Seite 22)

Alkohol – eine preiswerte Arznei, die erst noch glücklich macht


Beda M. Stadler

Welche Kolumnen erzürnen die Leser? Politische Themen, etwa von Mörgeli oder Bodenmann, sind immer gut, um sich wütend zu einer anderen Parteifarbe zu bekennen. Themen wie Gentechnik oder Biogemüse hingegen gehen auch unter die apolitische Haut. Sie ritzen schon ein wenig an der Seele. Bei manchen Lesern befindet sich dort die Religion. Solch zartbesaitete Schweizer mutieren dann zu fanatischen E-Mail- oder Briefeschreibern. Bei vielen Leuten, die Toleranz predigen, endet die Toleranz eben am eigenen Horizont. Auf der Reaktionsskala auf meine Äusserungen scheint die Toleranzgrenze schon mit der Aussage erreicht: «Ein Medikament ohne Nebenwirkung hat auch keine Wirkung!»

Ich tue es hiermit nochmals, schliesslich ist selbst die Umkehr des Satzes trivial und wissenschaftlich belegt. Patienten, die ein Medikament benötigen, nehmen Nebenwirkungen in Kauf. Warum wollen aber so viele Schweizer Medikamente ohne Nebenwirkung? Ganz einfach: Leute, die keine Nebenwirkungen wollen, sind nicht krank. Medikamente sollen für sie unbedenkliche Streicheleinheiten sein und den Krankenkassenprämienschmerz lindern. Es ist ja noch nie jemand dank Notfalltropfen oder Globuli sein Schleudertrauma losgeworden, nachdem ihm eine IV-Rente zugesichert wurde. Die geistige Verunreinigung in den Kügeli wirkt eben nur, wenn man daran glaubt.

Dem Bundesamt für Gesundheit sei Dank, dass wirkungslose Präparate der Alternativmedizin aus der Grundversorgung gekippt werden sollen – auch wenn dies noch nicht wirklich geschehen ist. Ein zweiter Dank, dass nun ebenfalls wirkungslose Präparate aus der Schulmedizin verbannt werden sollen. Warten wir einmal ab, wie viel Jahre das dauern wird. Damit das Bundesamt für Gesundheit weiter am Drücker bleibt, hier ein neuer Vorschlag: Es gibt nämlich Medikamente, die wohl wirken, sogar massivste Nebenwirkungen haben und vielleicht trotzdem nicht unbesehen auf die Medikamentenliste gehören, weil die Natur alternative Präparate zur Verfügung stellt. Dies zeigt: Ich bin nicht grundsätzlich gegen alternative Wässerchen, nur gegen solche, die nicht wirken.

Greifen wir als Beispiel die Statine heraus. Sie könnten zu einer echten Zwickmühle für das Bundesamt für Gesundheit werden. Medikamente aus dieser Gruppe blockieren die Bildung von Cholesterin in der Leber, wodurch Herzinfarkte oder Schlaganfälle wirkungsvoll reduziert werden. Nichts gegen Statine, nur gibt es Studien, die zeigen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind auch ohne Griff in den Medikamentenschrank zu mindern. Die Wunderdroge aus der Natur ist im Rotwein und heisst Alkohol. Vierzig Gramm davon oder umgerechnet ein knapper halber Liter Wein bei Männern oder etwa dreissig Gramm Alkohol pro Tag für Frauen haben sich als Herz- und Hirnschutz entpuppt. Bei dieser Menge Rotwein gilt man unter Ärzten als Alkoholiker. Die Knacknuss für das Bundesamt für Gesundheit ist nun: Wer erhält via Krankenkasse gratis ein Statin, und wer wird dazu verknurrt, sich einen Weinkeller anzulegen? Die Krankenkassen wird’s hingegen freuen, die Qualität des Weins ist belanglos. Es geht alleine um den Alkohol; ergo könnten auch Schnaps und Bier als Generika auf die Medikamentenliste der Grundversorgung.

Dies zeigt: Ich bin nicht grundsätzlich gegen alternative Wässerchen, nur gegen solche, die nicht wirken.

Für den Entscheid darüber, ob nun ein alternatives Präparat wie Rotwein oder ein Statin verordnet werden sollen, wird man also den Preis diskutieren müssen. Für einmal könnte es stimmen, dass die alternativen Präparate günstiger sind – vorausgesetzt, die Geschmacksknospen machen mit. In der Diskussion um Generika und alternative Medikamente fehlte zudem bisher der Ansatz der glücklich machenden Nebenwirkungen. Diesbezüglich hätte der Alkohol schon einmal die Nase vorne. Überhaupt: Leute, die Medikamente ohne Nebenwirkungen wollen, bezeichnen sich oft als ganzheitlich denkende Menschen. Wie kommen die darauf, unser Körper funktioniere ohne Wechselwirkungen?


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 22. Oktober 2006, Seite 22

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