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Streit um Komplementärmedizin: Was bringt die Volksinititative?

Beitrag des Konsumentenmagazins Kassensturz des Schweizer Fernsehens vom 5. September 2006: “Die Volksinitiative ‘Ja zur Komplementärmedizin’ will erreichen, dass Homöopathie und Co. wieder von der Grundversicherung bezahlt werden.”

(NZZ – SCHWEIZ – Herausgegriffen – Donnerstag, 7. September 2006, Seite 15)

Professoraler Stammtisch

ni. Die meisten werden ihre Meinung zur Komplementärmedizin haben – spätestens seit dem bundesrätlichen Entscheid vor einem Jahr. Damals wurden die fünf wichtigsten alternativen Behandlungsverfahren aus der Grundversicherung der Krankenkassen gekippt. Für die Gegner der «sanften» Medizin war dies das richtige Signal, die Befürworter hingegen sprechen von einem Skandal, der sich nun per Volksinitiative wieder rückgängig machen lasse. Entlang der bekannten Ränder verlief auch das kurze, aber heftige verbale Duell in der Sendung «Kassensturz» vom Dienstagabend. Dabei standen sich der Berner Immunologie-Professor Beda Stadler und der Internist und Akupunkteur Jörg Fritschi gegenüber. Stadler ist für seine fundamentale Ablehnung der Komplementärmedizin bekannt, und Fritschi kämpft als Präsident der Schweizer Komplementärmediziner für eine umfassende Berücksichtigung alternativer Heilmethoden in der Schweiz.

Somit waren die Rollen klar verteilt. Und vielleicht ist es naiv, von einer solchen Konstellation eine konstruktive Diskussion zu erwarten, die nebst dem bekannten Schwarzweissdenken auch Grautöne zulässt; die sich nicht nur für den alten Methodenstreit, sondern auch für die unterschiedlichen Realitäten und Bedürfnisse von Patienten und Praktikern interessiert. Möglicherweise ist das von den Fernsehmachern, die ihre Gäste auch nach dem Unterhaltungswert aussuchen, auch gar nicht erwünscht. Das abendliche TV-Gespräch geriet jedenfalls rasch zum gehässigen Schlagabtausch, den man am Stammtisch, nicht aber in einer Informationssendung erwartet.

Während Fritschi sich um einen sachlichen Diskurs bemühte, hatte man bei Stadler das Gefühl, dass ihm das Thema lästig war und er jedes Wort darüber für unnötig hält. Statt lustvoll zu streiten, begnügte er sich damit, die Komplementärmedizin mit Pauschalurteilen zu demontieren und der Lächerlichkeit preiszugeben. So sagte er etwa, man müsse endlich zur Kenntnis nehmen, dass die chinesische Medizin nichts tauge. Und auf den Einwand des Moderators, dass doch viele Personen mit der Komplementärmedizin gute Erfahrungen machten, antwortete er lapidar: «Trugschluss. » Nicht einmal das Resultat der Zuschauer, die nach dem Streitgespräch per SMS ihre Meinung zur Volksinitiative kundtaten, brachte Stadler zum Nachdenken. Von den 19 100 Stimmen sprachen sich 82 Prozent für die Initiative und 18 Prozent dagegen aus. Stadlers Erklärung: «Die meisten meinen, die Grundversicherung sei gratis. Das ist die Mentalität.»

Manch ein Zuschauer wird sich fragen, ob Stadler das Volk – und damit seine Patienten – nicht ernst nimmt. Was noch schlimmer ist: Nimmt die Schulmedizin nicht auch gerade durch solch undifferenzierte Auftritte ihrer Exponenten Schaden? Man kann sich jedenfalls vorstellen, dass Patienten zur Komplementärmedizin wechseln, nachdem sie in der wissenschaftlichen Medizin Arroganz und fehlende Sensibilität erlebt haben. In diesem Sinn können die Befürworter der Komplementärmedizin mit Stadlers Auftritt zufrieden sein.

NZZ Donnerstag, 7. September 2006, Seite 15

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