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Der Generika-Rappen

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 4. Juni 2006, Seite 22)

Eine Abgabe auf Nachahmerpräparate könnte die Schweizer Forschung retten


Beda M. Stadler

Sind Generikaproduzenten moderne Piraten? Sie kapern zumindest hemmungslos Schiffe, auf deren Segel ein Originalname prangt. Natürlich freut es mich, wenn Medikamente billiger werden. Als Forscher bin ich aber etwas befangen. Ich zweifle an der Euphorie, die Kostenspirale im Gesundheitsbereich sei nun gekappt, weil der Bund indirekt die Verwendung von Generika fördert. Zwei neue Probleme kommen nämlich auf uns zu.

Wir Forscher profitieren von der Entwicklung neuer Medikamente, weil dabei Forschungsgelder für die Universitäten abfallen. In der Schweiz werden etwa 70 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsausgaben durch die Privatwirtschaft finanziert. Als Forschungs-Mäzene haben sich aber die Generikaproduzenten bis jetzt nicht stark bemerkbar gemacht. Trotzdem, echte Piraten sind die Generikaproduzenten schon deshalb nicht, weil das Kopieren von Medikamenten ohne Patentschutz natürlich legal ist. Zudem produzieren auch die Originalmedikamenthersteller oft Generika. Schliesslich hat der Bund die Piraten geradezu ermuntert und dabei unwissentlich zwei neue Probleme geschaffen, die sich bald bemerkbar machen werden.

Als Erstes werden, in gleichem Masse, wie sich die Originalpräparathersteller über schwindende Pfründen beklagen, nun Forschungsgelder gestrichen. Skrupel werden sie keine haben, schliesslich ist der Bund bei der Streichaktion längst mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Unsere eidgenössischen Förderagenturen, der Schweizerische Nationalfonds und die Kommission für Technologie und Innovation, haben seit mehr als zehn Jahren ein stagnierendes Budget. Die Politiker fordern vor jeder Legislaturperiode mehr Gelder für Innovation und Forschung, übrig bleibt jeweils die alte Summe, und das ist weniger.

Die Industrie wird den Druck auf die Forschung erhöhen, einzig die Auftragsforschung wird überleben. Wer an der Klimaverschlechterung in der Forschung schuld ist, sollte analog dem Klimarappen mit einem Generika- Rappen mithelfen, das Desaster abzuwenden. Wir zahlen bereits heute in der Forschung die miserabelsten Löhne der Schweiz. Ein Doktorand verdient weniger als jemand, der beim Grossverteiler Büchsen ins Gestell räumt. Der Generika-Rappen könnte einen Fonds speisen, der ausschliesslich für unabhängige, philanthropische Forschung auf dem Gebiet der Life- Sciences verwendet wird. Dies würde garantieren, dass seltene Krankheiten oder nicht umsatzträchtige Bereiche von hohem sozialem Interesse trotzdem erforscht würden.

Das zweite Problem ist entstanden, weil Patienten wegen des höheren Selbstbehalts logischerweise das Generikum wählen, aber fast jedes Mal ein neues Produkt im neuen Kleid erhalten. Gäbe es jeweils nur ein Generikum, wäre das kein Problem. Beim nächsten Besuch in der Apotheke kann das Generikum aber einen neuen Namen und – noch schlimmer – eine andere Form und Farbe haben. Die ersten Patienten beginnen sich zu beklagen, vor allem bei Medikamenten, bei denen es mehr als zehn verschiedene Generika gibt. Sie sind verwirrt und wissen oft nicht mehr, welches Medikament sie nun wirklich eingenommen haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu tragischen Verwechslungen kommen wird.

Die Industrie wird den Druck auf die Forschung erhöhen, einzig die Auftragsforschung wird überleben.

Mit einem Generika-Rappen liessen sich beide Probleme lösen. Und zwar so: Der Bund zwingt die Generikahersteller, ihre Pillen so aussehen zu lassen wie die Originale. Wer dies nicht tut, bei dem zahlt der Kunde die Differenz zum Original als Generika- Rappen. Enthält das Generikum aber die gleichen Wirkstoffe und sieht gleich aus, reduziert sich der Generika- Rappen, damit der Patient trotzdem ein günstigeres Präparat erhält. Die Konsumenten würden dann nur einen kleinen Obolus bezahlen; die Generika wären ja immer noch massiv billiger als die Originale. Das nennt man zwei Fliegen auf einmal totschlagen. Die überlebenden Forscher würden es Ihnen danken.


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 4. Juni 2006, Seite 22

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