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Entschlackung fürs Gehirn

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 15. Januar 2006, Seite 20)

Es ist Zeit, etwas für den Körper zu tun. Doch zuerst ist der Geist vom Schlacken-Wahn zu reinigen


Beda M. Stadler

Die Festtage sind vorbei, und Ernüchterung tritt ein. Das Massengleichgewichtsgesetz hat erbarmungslos zugeschlagen. Es ist einfach: Je mehr man frisst, desto dicker wird man.

Nun ist es Zeit, etwas für den Körper zu tun, um dem Lenz froh entgegenschauen zu können. Die Wissenschaft hat leider nur humor- und emotionslose Rezepte bereit wie etwa: Friss die Hälfte oder Fett ist fett.

Warum also nicht in den Volksweisheiten kramen? Die Wissenschaft muss schliesslich nicht für alles eine Lösung parat haben. Viele Leute pfeifen ohnehin auf die Wissenschaft, sie setzen den gesunden Menschenverstand mit Volksweisheit auf die gleiche Stufe. Bald werden die Lifestyle- Zeitschriften wieder voller Entschlackungskuren sein, weil es eine Volksweisheit ist, nach einer Völlerei den Körper zu entschlacken. Möglich, dass sogar der nun auch in der Schweiz tätige deutsche Billig-Discounter Aldi einen Entschlackungstee in das magere Sortiment aufnimmt. Mit Volksweisheiten lassen sich nämlich Geschäfte machen.

Da ich bis jetzt keine Selbsterfahrung mit Entschlackungen habe, wollte ich mich schlau machen. «Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker» schien mir in diesem Fall nicht unbedingt der richtige Weg zu sein. Denn in beiden Berufskategorien gibt es Leute, die ihren Kunden alles abgeben, solange der Kunde selber daran glauben will. Beim Internet-Buchhändler Amazon finden sich 51 Bücher zum Thema. Die Zusammenfassungen gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Und weil sich im Internet die gleichen Inhalte finden lassen, erspart einem dies das Lesen der Bücher.

Das Ziel jeder Entschlackungsbehandlung sei die Ausscheidung von im Körper abgelagerten Zwischenoder Endprodukten des Stoffwechsels. Ablagerungen an den Innenwänden der Blutgefässe seien hauptsächlich auf zu hohes Cholesterin, Sauerstoffund Bewegungsmangel sowie zu viel Stress zurückzuführen. Wer nicht Medizin studiert hat, sieht in diesen Äusserungen noch nichts Verdächtiges. Volksweisheiten sind oft etwas allgemein gehalten. Die Schlacken können einem aber Angst einflössen, weil sie «neutralisierte Säuren und Gifte» seien, die in den verschiedenen Geweben und Organen des Körpers abgelagert würden. Das Weihnachtsmenu kommt mir geradezu hoch, wenn ich lese, dass ätzende Säuren und aggressive Gifte wie zum Beispiel Harnsäure aus Zellverfall und Fleischkonsum (das war die Pastete), Essigsäure aus Fett- und Süsswaren-Konsum (die Bündner Nusstorte), Gerbsäure aus schwarzem Tee und Kaffee, Milchsäure aus Muskeltätigkeit, Schwefelsäure aus Schweinefleisch (meine Frau wollte unbedingt ein Filet Wellington) sowie zurückgehaltenen Winden und alle Giftstoffe aus unserer Umwelt (ich rauche noch immer) einen ständigen Neutralisierungsbedarf erzeugen würden. Ohne eine schnelle Neutralisierung würden sie Gewebe, Organe und Drüsen verätzen und funktionsunfähig machen. Um das zu vermeiden, opfere der Körper aus seinen Mineralstoffdepots unablässig Spurenelemente und Mineralstoffe, welche die Säuren und Gifte neutralisieren. Die so gebildeten Salze würden Schlacken genannt. – Mir graut. Diese Schlacken müssen weg! Nur habe ich noch nie in einer Vorlesung das Wort «Schlacke» gehört. Im medizinischen Wissensgut scheint die Schlacke ein schwarzes Loch zu sein. Einige Ärzte scheinen nach dem Studium allerdings trotzdem auf den Geschmack zu kommen. Zumindest wird das von Entschlackungskuren behauptet. Bei der «Nouvelle FX Mayr-Cuisine» wählt der Arzt die für seinen Patienten optimale Schon- und Aufbaukost aus acht Diätstufen. Ein morgendlich getrunkenes Glas Bitterwasser unterstütze das Auswaschen der Schlacken und putze den Organismus gründlich durch. Der Körper schalte dadurch langsam von äusserer auf innere Ernährung um und baue allmählich Schadstoffe ab. Die «innere Ernährung» ist ein reizvoller Gedanke, ich warte schon lange darauf, dass mein Körper entsprechend umstellt.

Möglich, dass Aldi einen Entschlackungstee ins Sortiment nimmt – mit Volksweisheiten lassen sich Geschäfte machen.

Im Sinne einer geistigen Entschlackung suche ich trotzdem nach einer alternativen Informationsquelle. Im Hinblick auf geistige Verunreinigung – es ging um Homöopathie – hat die Stiftung Warentest schon letztes Jahr Klartext geredet. Die deutsche Stiftung hat dabei in einer für uns Schweizer doch eher schonungslosen Art informiert: «In vielen Völkern und Kulturen gibt es die Vorstellung, dass sich im Körper ‹Schlacken› ansammeln, die sich angeblich in Organen und Geweben ablagern. Mittel, die die Ausscheidungsfunktionen des Körpers verstärken, sollen sich für diesen Prozess einsetzen lassen. Abführend wirkende und/oder wasserausschwemmende Mittel werden dann mit dem Zusatz ‹zur Blutreinigung›, ‹zur Entwässerung› oder ‹zur Entschlackung› versehen. Derartige ‹Schlacken› existieren bisher jedoch nur in der Theorie. Sie haben sich weder im Mikroskop noch bei Laboruntersuchungen oder sonst wie auffinden lassen. Auch der Gedanke, das Innere des Körpers von Zeit zu Zeit ‹reinigen› zu müssen, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.» Da haben wir’s: Schlacke gibt es nicht. Trotzdem bin ich ein Anhänger von geistigen Entschlackungskuren geworden. Ich nehme mir vor, im Jahr 2006 weiterhin meinen Geist zu entschlacken. Die geistigen Schlacken stecken nicht nur in der Alternativmedizin, sie sind viel häufiger, als wir denken. So gibt es in Amerika das sogenannte «organic water», also Bio- Mineralwasser – ein Höhepunkt der geistigen Verschlackung. Dafür fordere ich einen sofortigen Importstopp!


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 15. Januar 2006, Seite 20

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