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Diskriminieren Sie alte Menschen?

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 20. November 2005, Seite 22)

Es ist nicht leicht, Produkte für Senioren auf den Markt zu bringen. Dopingmittel wären eine Idee


Beda M. Stadler

Ein Eitschist, wie bitte? Kaum hat man sich, dank der schleichenden Männerbefreiung, daran gewöhnt, wieder ein wenig Sexist sein zu dürfen, da hängt man uns einen neuen «-isten» an. Ageisten sind Menschen, die andere aufgrund ihres Alters diskriminieren. Testen Sie, ob das neue Schimpfwort zu Ihnen passt:

Sie sind Ageist, wenn Sie eine plausible Ausrede haben, warum es Leute ab fünfzig schwieriger haben, einen Job zu kriegen. Der typische Ageist macht sich Sorgen, falls ein weisshaariger Pilot im Cockpit sitzt. Vielleicht gehören Sie sogar zu den sportlichen 50+, die über den alten Sack schimpfen, der mit bloss 120 km/h auf der Autobahn herumgondelt? Vielleicht sind Sie ein 60+ mit Hörschaden und weigern sich, ein Hörgerät zu kaufen, oder Sie sind bereits in der Gruppe der 80+ und widersetzen sich standhaft dem Umzug in ein Altersheim, weil es dort nur Alte hat. Der typische Ageist wird selber nicht alt.

Am World Ageing Congress in St. Gallen haben sich kürzlich all jene versammelt, die redlich versuchen, nicht mehr Ageisten zu sein. Man war sich einig: Unsere älteren Mitbürger dürfen nicht länger nur Ziel unserer Fürsorge sein, sondern sie sind als eine zukunftsträchtige Chance für uns zu sehen. Niemand hat nämlich mehr auf der hohen Kante als die 60+. Das Gescheiteste wäre somit, die Alten würden ihr Geld verjubeln, damit wir alle etwas davon haben. Das ist kein Witz, das wären zusätzliche PS für den Wirtschafts-Motor. Vor zwei Jahren hat deshalb der Bund die Initiative «Successful Ageing» gestartet. Seither versucht die KTI, die Förderagentur für Technologie und Innovation, fast vergeblich, unseren KMU zu zeigen, wie der Konsum der über 60-Jährigen angeheizt werden könnte. Weshalb vergeblich? Der Ageismus sitzt eben tief. Als Experte der KTI war auch ich anfänglich skeptisch. Sollen etwa schnittigere Rollstühle, Bluetooth-fähige Hörgeräte oder Windeleinlagen mit Flügeln für unsere inkontinenten Alten entwickelt werden? Solch abschätzige Ideen kommen einem Ageisten in den Sinn, weil nur die andern älter werden.

Die meisten Mitbürger der Altersgruppe 60+ sind übrigens gesund. Sie haben die typischen Beschwerden des Älterwerdens, aber das darf man nicht als Krankheit bezeichnen. Doch wenn ich in zehn Jahren in Pension gehe, gibt es dann Produkte, die ich noch kaufen will? Gibt es eigentlich Computerspiele für die 60+? Gibt es ein Modelabel für die trendigen Alten oder andere Konsumgüter, um die uns die Jungen beneiden werden?

Manchmal scheint die Lösung im «Universal Design» zu stecken. Darunter versteht man Produkte, die sowohl von Jungen wie auch von Alten gleichermassen geschätzt oder bedient werden können. Wenn ältere Leute Mühe mit dem Internet haben, ist es oft nur darum, weil sie Schwierigkeiten mit der Maus haben. Die Maus ruhig zu halten und gleichzeitig zu klicken, ist für die Oma ein Kunststück. Computermäuse sind also kein «Universal Design». Auch unsere Handys sind es nicht: Der Screen ist zu klein, die Tasten zu winzig. Ich habe lange Zeit ein Handy gesucht, das nur telefoniert und nicht noch mein Leben organisieren will. Manchmal entsteht «Universal Design» aber auch ganz ungewollt. Ich konnte mir früher nichts Peinlicheres vorstellen, als mit Mutters geflochtenem Einkaufswagen ins Dorf geschickt zu werden. Unerwartet mutierte dieses Einkaufswägelchen zum schicken Reisebegleiter. Dank «Universal Design» sieht man heute den Hip-Hopper, den Geschäftsmann und die alte Oma elegant das zweirädrige Ding hinter sich nachziehen.

Soll man etwa schnittigere Rollstühle und Bluetooth-fähige Hörgeräte für unsere Alten entwickeln?

Es ist also gar nicht so einfach, neue Produkte für den Markt der Senioren auszuhecken. Betitelt man die älteren Menschen als Senioren, wird das Ganze ohnehin zum Flop. Die Anti-Ageing Industrie ist längst auf den Trend aufgesprungen und vermarktet schamlos Pillen und Wässerchen – ohne Wirkung. Es werden Wachstumshormone in schwachen Konzentrationen angeboten, was fast so verwerflich ist wie die Homöopathie, wo nur Wasser verkauft wird. Trotzdem könnte man sich überlegen, ob es unter den bestehenden Medikamenten nicht solche gibt, die eigentlich den gesunden Alten zur Verfügung stehen sollten. Erythropoietin (EPO) wäre ein Beispiel für diesen verheissungsvollen «Convenience Market».

Wenn unsere Velorennfahrer sich EPO spritzen, zieht man sie aus dem Verkehr. Italien will sie gar ins Gefängnis stecken. Trägt ein Velofahrer hingegen eine Brille oder gar ein Hörgerät, darf er ironischerweise trotzdem siegen. Ältere Leute würden sich vielleicht gerne dopen lassen, sie beschaffen sich aber im Schnitt zehn Jahre zu spät ein Hörgerät. Weil unsere Gesellschaft eben sofort alle als debil einstuft, die ein Hörgerät tragen. Eben weil wir alle Ageisten sind.

EPO für die Alten würde mehr rote Blutkörperchen bedeuten, so dass sie wieder leichter die Treppen heraufkommen würden, oder auch mal wieder zu Fuss die Enkelkinder besuchen könnten. Diese unsere Gesellschaft wird aber wahrscheinlich noch eher Doping bei Veloprofis zulassen, als dass sie vernünftige Produkte endlich aus dem Gesundheitssystem herausnähme und diese auf den freien Markt gäbe.

Wie sehr der Ageismus grassiert, sieht man übrigens daran, dass es auf den Speisekarten wohl Kindermenüs gibt, aber keine speziellen Menüs für jene, die meist die Rechnung bezahlen. Ein Kochbuch für ältere Menschen könnte zur neuen Bibel für die ageistische Emanzipation werden. Titel: «Kochen für alte Knochen.»


Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.

NZZ am Sonntag, 20. November 2005, Seite 22

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