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Die geistige Verunreinigung in der Alternativmedizin

(NZZ am Sonntag – Meinungen – 6. März 2005, Seite 23)

Dieses Jahr wird entschieden, ob die Homöopathie in der Grundversicherung bleibt. Falls dem so ist, zahlen die Kassen weiter viel Geld – für reines Placebo, schreibt Beda M. Stadler

Nicht alles, was sich unter dem Begriff Alternativmedizin tummelt, kann man in Bausch und Bogen verdammen, aber das meiste. Rund um die Akupunkturnadeln sollen Endorphine freigesetzt werden, was wenigstens ein Hinweis darauf ist, dass etwas passiert. Man könnte sich also zumindest über die Methode streiten. Ganz anders bei der Homöopathie. Sie hält sich nun schon seit zweihundert Jahren, obwohl es keine einzige wissenschaftliche Doppelblindstudie gibt, welche ihre Wirkung belegen könnte. Die Homöopathie ist das Paradebeispiel für die geistige Verunreinigung, um die es mir geht. Selbst Homöopathen gestehen heute ein, dass ihre Globuli und Wässerchen kein einziges Molekül der beigefügten Substanz mehr enthalten. Es ist höchstens noch eine geistige Verunreinigung in den Präparaten vorhanden. Diese Potenz scheint zu einer Verunreinigung des Geistes bei jenen zu führen, die kritiklos solche Präparate konsumieren.

Es ist erstaunlich, wie viele gebildete Leute homöopathische Präparate mit dem Aufdruck C30 zu Hause haben. Das C steht für centum, und 30 bedeutet, die Urtinktur sei dreissigmal eins zu hundert verdünnt worden. Wenn Sie also stolzer Lottomillionär wären und Ihr Geld auf C3 verdünnten, hätten Sie noch genau einen Franken! Logisch, dass Sie bei C4 gar nichts mehr besässen. Eine konzentrierte homöopathische Opium- Urtinktur kann wegen der Löslichkeit zum Beispiel maximal etwa 100 Milligramm Morphin enthalten. Das sind knapp mehr als 1020 Moleküle. Nach C10 gibt es also nichts mehr zu verdünnen, es bleibt kein Morphin-Molekül mehr übrig. Trotzdem verdünnt der Homöopath fleissig weitere C20. Dagegen wäre ein Weinpanscher, der eine Flasche Pinot in den Bodensee schüttet und dann den Bodensee als Wein verkauft, geradezu ein ehrlicher Verkäufer. Schliesslich könnte er argumentieren, eine Flasche Seewasser enthalte noch Millionen Alkohol- Moleküle vom ursprünglichen Pinot.

Falls Sie beim Lesen dieser Zeilen zu Ihren Bachblüten-Notfalltropfen greifen mussten, haben Sie zumindest etwas Alkohol abgekriegt. Die Blümchen- Wirkstoffdosis ist zwar nicht weniger als nichts wie bei den homöopathischen Wässerchen, die Herstellung produziert trotzdem nur knapp verunreinigtes Wasser. Werden doch frühmorgens die Blüten auf die Oberfläche von reinem Quellwasser gelegt und nur leicht mit dem Stiel einer Pflanze während dreier Stunden gerührt. Das Wasser darf dann zur Hälfte mit Cognac verdünnt werden – fertig ist der Zauber. Wie viel geistige Verunreinigung braucht es, damit diese Tröpfchen einem TV-Star die Angst vor dem Auftritt nehmen, lieben Freunden Erziehungsprobleme lösen und anderen ruhige Haushunde bescheren? Das sind keine Einzelfälle, schliesslich sind die Notfalltropfen ein echter Renner in den Apotheken. Ob Bachblüten, Homöopathie oder sonst ein Voodoo, in einem gleichen sich alle: Es gibt keine wissenschaftlichen Studien, die ihre Wirkung belegen.

Es gibt eine Studie, bei welcher die homöopathische Wirkung leicht höher liegt als der Placeboeffekt, aber weit unterhalb der Wirkung des Vergleich- Medikamentes aus der Schulmedizin. Es ist daher geradezu der Gipfel der Unverfrorenheit, den Placeboeffekt als Wirkung darzustellen, wie das gerne getan wird. Stellen Sie sich vor, Ihr Apotheker würde bei jedem Medikament einen Aufpreis verlangen, weil jedes Medikament einen Placeboeffekt hat, bis jetzt aber ausser den Homöopathen noch niemand auf die Idee gekommen ist, diesen zu verrechnen.

Beda M. Stadler
Beda M. Stadler, 56, ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der medizinischen Fakultät der Universität Bern. Stadler ist im Wallis aufgewachsen und arbeitet als Wissenschafter zu den Themen Allergologie und Autoimmunität.

Ein trauriges Kapitel sind die Hausärzte, welche alternative Medikamente verschreiben, obwohl sie wissen, dass sie bloss Placebos verabreichen. Verständlich, oft wollen Patienten ein Mittelchen, obwohl ein Gespräch ausreichend wäre. Wie reagieren aber Patienten, die herausfinden, dass man sie gar nicht ernst genommen hat? Früher konnte ein Arzt ein Vitaminpräparat verschreiben, falls nur Befindlichkeitsstörungen vorlagen. Heute, da Vitamine selbst in Shampoos vorkommen, würde ein Patient möglicherweise den Arzt wechseln. Riskieren wir nicht einen Imageschaden für unser Gesundheitssystem, wenn weiterhin Präparate verschrieben werden, die ganz ohne Wirkung sind, nur damit keine stundenlange Diskussion mit dem Patienten geführt werden muss? Für die Homöopathie soll nun eine Metastudie nachhelfen. Diese macht die Schulmedizin lächerlich, weil dabei homöopathiegläubige Ärzte und die ihnen ausgelieferten Patienten gemeinsam herausfinden wollen, ob die Homöopathie wirkt. Man zählt offensichtlich darauf, den Geist jener Bundesämter zu verwirren, die Mitte 2005 entscheiden, ob die Alternativmedizin weiterhin in unserer Grundversorgung bleiben soll.

Es schadet wenigstens nicht» stimmt in diesem Zusammenhang eben nicht. Falls wir solche Alternativmedizin über die Krankenkasse legitimieren, erhalten andere Branchen das gleiche Recht. Die Schuhindustrie dürfte behaupten, ihre Sohlen stimulierten das Immunsystem. Wie kann Swissmedic in Zukunft darauf pochen, dass Medikamente in Doppelblindstudien getestet werden? Mit Recht stürzen sich unsere Konsumentenschützer auf jeden, der unlautere Versprechen abgibt. Warum werden bloss die Produzenten von homöopathischem Wasser in Ruhe gelassen? Ist es wegen ihrer Ehrlichkeit, da sie ja zugeben, im Kügelchen sei kein Urtinkturmolekül mehr vorhanden, bloss die Erinnerung daran? Und warum fragt sich niemand, wie die Homöopathen all die Erinnerung wieder aus dem Wasser rauskriegen? Falls nämlich ein paar Schweizer ihre C30-Gütterli ins WC spülen, sind die folgenden Gewässer als hoch potenziert einzustufen. Inzwischen müssten alle Menschen kerngesund sein. Ausser sie trinken reines Quellwasser.

NZZ am Sonntag, 6. März 2005, Seite 23

(NZZ am Sonntag – Hintergrund & Meinungen – 13. März 2005, Seite 26)

«Wer heilt, hat Recht!»

Eine Kolumne in dieser Zeitung über Alternativmedizin hat viele Reaktionen provoziert. Die Debatte über die Aufnahme alternativer Methoden in die Grundversicherung ist lanciert

«Die geistige Verunreinigung in der Alternativmedizin»
NZZ am Sonntag vom 6. März

Ich arbeite als Anästhesieschwester in einem Regionalspital, bin sogenannt gebildet, besitze zu Hause eine homöopathische Hausapotheke. Unsere Familie wird bei Krankheit durch zwei Homöopathen unterstützt. Mein Sohn wurde im Alter von drei Jahren homöopathisch vom Pseudo-Krupp geheilt – Placebowirkung? Mit der Katze und den Schildkröten gehen wir übrigens zum Tierarzt. Ich lebe und arbeite täglich mit Schul- und Alternativmedizin. Beda M. Stadler kennt nur die Schulmedizin. Schade.
Irene Müller, Urswil (LU)

Endlich schreibt einer Klartext über eines der kostentreibenden Probleme unseres Gesundheitssystems. Wir haben nichts gegen diese Pillen und Wässerchen – bezahlen sollen sie aber jene, die daran glauben. Man könnte noch viele andere Leistungen der Grundversicherung aufbrummen; jemandem nützt es immer – sicher jedoch den Leistungserbringern!
Anton Zahler und Ursula Brunner, Münchenbuchsee (BE)

Beda M. Stadler wiederholt die Argumente gegen die Homöopathie, die wir seit langem kennen. Sie werden deshalb nicht wahrer. Er erfuhr sicher noch nie die heilende Kraft einer guten homöopathischen Behandlung, im Gegensatz zu vielen Patienten, die – enttäuscht von der Schulmedizin – durch ihre Nachfrage Zeugnis davon abgeben. Wer heilt, hat Recht!
Stephan Häcki, Bösingen (FR)

Im Mittelalter konnte Paracelsus noch davon sprechen, dass Gott heile, der Arzt nur kuriere. Heute geht es darum, wie die Selbstheilungskräfte angeregt werden können. Dass dabei mehr als molekulare Zusammenhänge wichtig sind, zeigt die Erfahrung vieler Praktiker und Patienten.
Hansjörg Heé, St. Gallen

Ich frage mich, welcher Antrieb – ausser reinem Lobbyismus – Beda M. Stadler dazu bewogen hat, solch einen unfundierten Sermon herunterzubeten. Hat es sich in seinem Elfenbeinturm noch nicht herumgesprochen, dass die Akupunktur mittlerweile sogar wissenschaftlich anerkannt ist? Wer gibt ihm das Recht, die Wirksamkeit eines Heilverfahrens nur deswegen zu leugnen, weil ihm der wissenschaftliche Beweis fehlt? Was überhaupt ist der wissenschaftliche Beweis? Gäbe es heute Röntgenstrahlen, wenn man sie zuvor hätte messen können müssen, um sie anzuerkennen?
Theodoros Yannacopoulos, Konstanz (D)

Visionäre Denker glauben nicht nur an Doppelblindstudien. Sie haben erkannt, dass sich der Mensch im Spannungsfeld von Geist und Materie entwickelt und dass der Kosmos so komplex ist, dass viele Phänomene nicht im Rahmen klassischer Wissenschaftlichkeit zu erklären sind. Dies lehrt uns ja auch die Quantenmechanik. Merke: «The absence of proof is not the proof of absence!»
Andreas Stocker,Menzingen (ZG)

Ich frage mich, weshalb Beda M. Stadler so aggressiv über Alternativmedizin schreiben muss. Wenn sie nicht wirkt, muss er sich ja nicht so aufregen. Oder ist da doch mehr dahinter, und er ahnt etwas davon?
Beatrice Meyer, Zürich

Jede grosse neue Errungenschaft durchläuft drei Phasen: Zuerst wird sie belächelt, dann bekämpft und zu guter Letzt anerkannt. Ich kann mich also freuen für die Homöopathie, dass sie nach über 200 Jahren bei Stufe zwei angekommen ist. Ich nehme seit langem keine Wissenschaft mehr ernst, die sich alle paar Jahre selber widerspricht. Ich glaube nicht an Moleküle, an Bakterien, an Gene. Es mag sie zwar geben; wer aber glaubt, medizinisch wichtige Schlüsse daraus ziehen zu können, ist bedauernswert.
Eva Wolf, Langenthal (BE)

Die Frage nach dem Honorar von Beda M. Stadler ist bestimmt abwegig, jene nach Auftraggeber wohl gänzlich unanständig. Übrigens kosten ein paar Globuli praktisch nichts und schaden mit Sicherheit nicht. Pillen oder Kapseln dagegen kosten tendenziell viel und schaden mit Sicherheit . . . nicht?
Walter Caviezel, Schönenberg (ZH)

Wie froh ich bin, dass Beda M. Stadler der gleichen Meinung ist wie ich! Es ist wirklich so: In homöopathischen Arzneimitteln ist kein einziges Molekül der beigefügten Substanz mehr enthalten. Ich danke Stadler, dass er die Scharlatanerie endlich aufgedeckt hat. Eines möchte ich ihm aber noch sagen: Beim Lesen seines Pamphletes spürte ich plötzlich mein Herz bis in den Hals schlagen, mir wurde warm, und die sonntägliche Zmorge-Ruhe war schlagartig vorbei. Ich versichere ihm, dass ich keine Druckerschwärze geleckt und mir auch kein Zeitungspapier einverleibt habe. Trotzdem entwickelte ich starke, spürbare und unübersehbare Symptome – seltsam, es waren Wirkungen wie bei homöopathischen Arzneien, in denen ja auch keine materiellen Stoffe mehr vorhanden sind.
Barbara Munz, Brüttisellen (ZH)

Als Grundversorger, der keine Kügeli verschreibt, denke ich ähnlich wie Beda M. Stadler, aber vielleicht etwas weniger pointiert. Umgekehrt könnte man als Leser dieser Zeilen den Eindruck erhalten, es solle ein Loblied auf eine Schulmedizin gesungen werden, die nur mit bekannten Ursache- Wirkung-Beziehungen operiert. Aber Medizin war, ist und wird nie eine Wissenschaft sein, die nur der Organ- Mechanik huldigt, wie manchmal Ärzte und Patienten denken.
Fritz Coester,Wimmis (BE)

Der Mensch ist nun einmal keine Maschine. Ich habe vier Jahre in Afrika in einem Spital in der Savanne gearbeitet und dann 22 Jahre eine Landpraxis geführt. Ich könnte nie so schreiben wie Beda M. Stadler. Man merkt ihm an, dass er von Praxis keine Ahnung hat. Wir Ärzte mussten lernen, dass all unser Wissen oft nicht genügt, eine Heilung zu erklären oder auch eine Verschlechterung. Ich wandte dennoch keine Homöopathie an. Wenn man genau hinschaut, so ist das Ganze doch sehr konstruiert und letztlich noch viel schulmedizinischer als die Schulmedizin. Hingegen hat Beda M. Stadler den Finger auf einen Punkt gelegt, der mich immer geärgert hat: dass die Krankenkasse solche Placebos zum Teil zahlen muss.
David Künzler, Hausen (ZH)

Es ist kaum zu glauben, welch ein Unsinn in diesem Artikel verbreitet wird. Gott sei Dank haben wir die seit 200 Jahren bestens bewährte Homöopathie! Diese lange Zeitspanne spricht schon für sich. Generationen von Menschen haben diese Mittel mit Erfolg eingesetzt, so auch bei Kindern, die ja nun wirklich noch nichts vom Placeboeffekt wissen.
Gisela Bächi-Gutrath, Dornach (SO)

Ehrlich gesagt, musste ich über den Artikel sehr lachen. Witzig geschrieben, aber auch ein bisschen boshaft. Der Autor lässt jedoch ausser acht, dass viele Medikamente aus der Schulmedizin trotz Doppelblindstudien mehr geschadet als genützt haben und dass die ärztliche Verschreibung solcher Medikamente weiterhin steigt. Warum also nicht einmal Notfalltropfen nehmen? Schon die Worte «Trost und Ausgeglichenheit» auf dem Fläschchen fördern das Wohlbefinden. Vielleicht sollte auf der Etikette noch beigefügt werden: «Zuversicht und Glaube an die Selbstheilungskräfte.» Daran mangelt es dem modernen Menschen.
Lisa Wenger, Gümligen (BE)

Die Schulmedizin ist am Ende ihres Lateins, weil sie ihre Forschung auf das physisch Mess-, Wäg- und Zählbare beschränkt. Wenn ich die Welt durch ein kleines Guckfenster betrachte, sehe ich auch nur einen Teil von ihr. Es ist aber der Gipfel der Unverfrorenheit, anzunehmen, dies sei alles, und es auch noch in dieser unbedarften Ironie darzustellen.
Stefan E. Kaiser, Dornach (SO)

Eine homöopathische Behandlung kostet einen Bruchteil eines allopathischen Medikamentes. Wer in die Alternativmedizin einsteigt, übernimmt Selbstverantwortung für seine Gesundheit – und kostet so weniger. Eigentlich müsste die Homöopathie mit tieferen Prämien honoriert werden.
Rosmarie Flückiger, Suberg (BE)

Wie kann die Schulmedizin über den ganzheitlichen Ansatz der Homöopathie urteilen, wenn sie nicht einmal in der Lage ist, bei der Behandlung einen interdisziplinären Ansatz innerhalb der Schulmedizin zu finden? Gibt es etwa eine Abstimmung zwischen Chirurgie und innerer Medizin zum Wohle des Patienten? Ist es nicht eher so, dass jeder für sich behandelt?
Martin Brunner, Rüschlikon (ZH)

Wer nichts von Homöopathie versteht, soll die Finger davon lassen. Der Kostenanteil der Komplementärmedizin beträgt nicht einmal ein Prozent der Gesamtkosten des Gesundheitswesens. Es ist reine Stimmungsmache, die Kosten der Komplementärmedizin ins Feld zu führen.
Gilberte Favre, Aarwangen (BE)

Alle, die ich kenne (inklusive uns), liessen sich erst Jahre wirkungslos schulmedizinisch behandeln, bevor sie von einem Homöopathen in wenigen Sitzungen durch sogenannte Placebos vollständig geheilt wurden. Dass Beda M. Stadler und anderen Schulmedizinern nicht klar ist, warum das so ist, ist dabei völlig unerheblich.
Urs Giezendanner, Bremgarten (AG)

Ärgerlich ist, dass sich die Schulmedizin um die zentralen Fragen zum Menschsein futieren kann: Was ist der Mensch? Woher kommt er? Wohin geht er? Das lernt man nicht im Medizinstudium. Was also bleibt? Man macht jene schlecht, die sich bemühen, auf diese Fragen Antworten zu finden. Das ist schlechter Stil.
Beat Meyer, Zürich

NZZ am Sonntag, 13. März 2005, Seite 26

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